Sonntag, 4. Dezember 2016

Wertschätzung


Wertschätzung bezeichnet allgemein eine positive Bewertung eines anderen Menschen. Sie betrifft eher einen Menschen als Ganzes als einzelne Taten. Spannend an der Wertschätzung ist, dass sie in unserer Überflussgesellschaft zu einem Mangelgut zählt. Mangelnde Wertschätzung wird überall beklagt, vor allem am Arbeitsplatz. Führungskräften muss man offenbar beibringen, wie man Wertschätzung zeigt. Ist das nicht seltsam? Woher kommt das?

[Es ist effizient, sich nicht dauernd um Probleme zu kümmern.]

Im Freundeskreis scheint es doch wunderbar zu klappen.Ist Wertschätzung vielleicht zu hoch gegriffen? Würde ein einfaches Lob genügen? - Studien zeigen immer wieder, dass Manager meinen, dass sie oft loben, Mitarbeitende hingegen fühlen sich selten gelobt, als ob die Hälfte vom ausgesprochenen Lob systematisch in einem schwarzen Loch verschwände. Dabei hätten zumindest jene Manager, die selbst Kinder haben, es im Eltern-Kurs bereits lernen können: Die psychologisch fundierten Spielanweisungen für das Loben von Kindern und von Mitarbeitenden sehen nämlich verdächtig ähnlich aus.  Spezifisch sollte es sein. Nicht einfach „schöne Zeichnung“, sondern „diesen Vogel da hast Du schön gemalt“ oder dieser „Hund sieht wirklich lustig aus“. Und dann sollte es zeitnah erfolgen. Der gestern leer gegessene Teller interessiert heute keinen mehr. Und authentisch sollte es sein. Also nichts loben, was man nicht wirklich gut findet. Das ist dann für leistungsorientierte Menschen nicht ganz einfach. Besonders, weil man der Versuchung widerstehen sollte, pädagogisch geschickt zu fragen „und diese Wolke, willst Du die nicht fertig ausmahlen?“. Vor allem nicht, nachdem das Kind auf das Lob für die Hundezeichnung geantwortet: „Ist gar kein Hund, ist eine Katze.“

Was im Gegensatz zu Kindern bei Mitarbeitenden erschwerend dazu kommt: Die Leistung einzuschätzen ist gar nicht einfach. Wenn Huber dieses Jahr 20% mehr Umsatz gemacht hat in seiner Abteilung, dann war vielleicht Glück dabei, wenn er 20% weniger gemacht hat war es vielleicht eine tolle Leistung, weil es ohne seinen Einsatz noch wesentlich weniger gewesen wäre. Eine Führungskraft fühlt sich zwar verantwortlich, diese Unterscheidung treffend machen zu können, doch wer ehrlich ist, muss zugeben, dass die Faktenbasis für eine fundierte Einschätzung oft nicht ausreicht. Zudem geschieht loben immer irgendwie von oben nach unten und funktioniert nicht so richtig auf Augenhöhe.

Wäre Wertschätzung eben doch der richtige Ansatz? Manager könnten anfangen, wertschätzende Interviews zu führen. Das sind Gespräche, in denen es weder um Probleme noch Leistungsverbesserungen geht, sondern in denen Mitarbeitende mit ihren Stärken und Erfolgen im Zentrum stehen – mögen es auch relative Stärken und bescheidene Erfolge sein. Es geht darum, sich so kennen zu lernen, dass die positiven Seiten eine Chance bekommen, wahrgenommen zu werden. Vielleicht so: Warum hast Du Dich auf diesen Job damals eigentlich beworben, was hat Dich fasziniert? Welche Deiner Stärken konntest Du bisher am besten einbringen, wie hat das funktioniert? Was ist das, was Dich am meisten freut bei der Arbeit? Was beflügelt oder energetisiert Dich? – Natürlich sollte das Interesse authentisch sein – auf gelangweilte oder manipulierende Art gestellt verfehlen solche Fragen ihre Wirkung. Aber authentisch zu sein ist eigentlich nicht schwer. Was es dazu bräuchte, ist bloss ein Verständnis dafür, dass es zur Rolle als gute Führungskraft gehört, Interesse für Positives zu zeigen. Und zwar nicht nur in der Kaffeepause oder wenn alles andere erledigt ist. Diese Denke ist der eigentliche Engpass. - Klar, Wertschätzung zu zeigen braucht Zeit. Das lässt sich nicht einfach beschleunigen. Wir wissen aber auch, dass wir damit im Grunde viel Zeit und Ärger sparen, weil danach Probleme gar nicht erst auftauchen oder sich rascher lösen lassen.  Fazit: Es ist höchst effizient, sich nicht dauernd um Probleme zu kümmern, sondern darum, was gut läuft. Es ist wirkungsvoll, sich nicht nur um Statistiken, Strukturen und Strategien zu kümmern, sondern um die Menschen im Unternehmen. Es ist professionell, ganz subjektiv zu erforschen wie weit es uns möglich ist, diese Menschen zu mögen wie sie sind. Es ist sinnvoll, sie dabei zu unterstützen zu sein, wer sie sind und zu werden, wer sie werden können. – Wertschätzung ist der Schlüssel dazu, dass sich Menschsein und wirtschaftlicher Erfolg nicht gegenseitig ausschliessen. Ist das nicht eigentlich auch schon eine frohe Botschaft?


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Samstag, 5. November 2016

Burnout



Burnout ist, wenn man vor lauter Arbeiten nicht mehr kann - das weiss heute jedes Kind. Dauerstress und mangelnde Wertschätzung sind die zentralen Ursachen, und die Burnoutfälle und –risiken nehmen dramatisch zu. Mehrere Studien belegen das in der Schweiz, in Europa, in der westlichen Welt. Das weiss vielleicht nicht jedes Kind, aber sogar Kinder haben heute Burnout.


[Wer ein Burnout hat ist ein heldenhaftes Opfer.]

Wie von Fachleuten immer wieder betont wird, ist Burnout keine klinische Diagnose.  Erschöpfungsdepression wäre ein treffenderer Ausdruck. Das mag fachlich korrekt sein, aber es gibt einen guten Grund, warum sich trotzdem der Begriff „Burnout“ durchsetzt. Ich vermute, es ist genau der gleiche Grund, der auch dafür verantwortlich ist, dass überhaupt wir so viele Burnouts haben: Weil wir nämlich als Gesellschaft zunehmend zur „organisierten Selbstüberforderung“ neigen und das wiederum liegt an unserer Werthaltung. Diese zeigt sich etwa so:
Wer ein Burnout hat ist ein heldenhaftes Opfer im hehren Kampf um Effizienz und Wirtschaftswachstum und wird respektvoll behandelt, fast wie in anderen Ländern die Kriegsveteranen. Wer Depressionen hat ist ein Verlierer, ein Weichei, wahrscheinlich selber schuld und man sollte sich von ihm fernhalten, denn der Kontakt mit Depressiven ist für „normale Menschen“ meistens unangenehm, für den Betroffenen therapeutisch wertlos und … womöglich sind Depressionen ansteckend? – Okay, ansteckend vielleicht nicht, aber irgendeinen akzeptablen Grund muss es doch geben, um sich als normaler Nichtdepressiver ohne schlechtes Gewissen zurückziehen zu können!
Aus dieser Werthaltung folgt: Burnout ist ein vorhersehbarer Kollateralschaden unserer Gesellschaft. Das heisst aber nicht, dass dies allen gleichgültig wäre. Manager müssen jetzt Burnout-Präventions-Programme durchlaufen und Burnout-Früherkennungs-Trainings absolvieren und das alles zusätzlich zum Alltagsgeschäft. Ironischerweise ist das womöglich ein zusätzlicher Stressfaktor.
Studien zeigen, welch enorme Summen die vielen Burnouts die Wirtschaft kosten (eine fundierte Schätzung für die Schweiz besagt, es seien 4 Milliarden pro Jahr, Tendenz steigend). Kaum untersucht ist die Tatsache, dass das Phänomen Burnout das Bruttosozialprodukt gleichzeitig aber auch steigert. Denken Sie an alle spezialisierten Kliniken, Therapieplätze, Selbsthilfebücher und die zunehmende Arbeit für Stress-Coaches, Therapeuten und Wiedereingliederungs-Experten. Diesen Betrag fundiert zu berechnen würde wohl ziemlich  zynisch wirken. Dabei wäre es nichts als eine nüchterne Betrachtung des menschlichen Treibens, das wir Wirtschaft nennen.
Ob wir nun von Burnout oder Depression sprechen, eins wissen wir sicher: Wer so etwas durchmacht ist für eine längere Zeit nicht glücklich. – Warum tut der Mensch, der ja angeblich so systematisch nach Glück strebt, sich das an? Irgendetwas scheint grundsätzlich schief zu laufen beim Streben nach Glück. Viele würden unserer „Leistungsgesellschaft“ die Schuld geben, aber es ist womöglich die grösste Ironie der Sache, dass Leistung und nachhaltiges Glück keine Widersprüche sind … es mindestens nicht sein müssten. Im Gegenteil zeigen Studie um Studie, dass wir lebenszufriedener und leistungsfähiger werden, wenn wir tun, was wir gut können, wenn wir unsere Stärken einsetzen und entwickeln und nach Zielen streben, die uns wertvoll erscheinen, sofern wir uns dabei selbst einigermassen Sorge tragen. Nach Leistung zu streben ist also kein Problem. Unsere verkrampfte Haltung dabei ist das Problem. Diese Verkrampfung ist bei uns üblich. Handelsüblich, gesellschaftsüblich, ja sie ist sogar so stink-normal, dass sie beinahe unsichtbar geworden ist. Entscheidend ist deshalb: Werden wir Therapien anwenden, die bloss den Status Quo wieder herstellen, oder kommen wir durch die Konfrontation mit unseren Grenzen zu einer anderen Lebenseinstellung? Ich stelle mir eine Lebenseinstellung vor, in der Leistung immer noch sehr wichtig ist, aber nicht mehr so auf Teufel komm raus wie heute, mit Statusdenken, Ellenbogen und Zeitdruck, sondern eher kombiniert mit Warmherzigkeit, Neugierde und Wachstum. - Soviel ist klar: Ohne Auseinandersetzung mit unserem Blinden Fleck bleibt jeder Heilungsversuch reine Symptombekämpfung. Dieser kollektive Blinde Fleck will gesehen werden, jetzt! Er ruft, tobt und will unsere Aufmerksamkeit. Wenn er sie nicht bekommt wird er - wie ein vernachlässigtes Kind - noch eins oben drauf legen. Und er wird ganz bestimmt nicht eines Tages ausbrennen und dann einfach nicht mehr da sein. Burnout ist ein Dauerbrenner.

Samstag, 8. Oktober 2016

Gratis


Gratis heissen Dinge, die kostenlos, also ohne Bezahlung erhältlich sind. Was als „gratis“ bezeichnet wird, heisst aber nur so, in Wirklichkeit sind oft erhebliche Kosten damit verbunden, auch – oder gerade dann – wenn, der genannte Gegenstand tatsächlich gratis ist. Die erwähnten Kosten schleichen sich durch die Hintertür und werden weitgehend ignoriert, weil ihre Ursache für uns ziemlich peinlich ist: Wir müssten uns eingestehen, dass wir viel weniger vernünftig sind, als wir gerne sein möchten.

[Die Kosten von "gratis" sind riesig ... und peinlich.]


Deshalb befassen sich nur Marketingprofis mit diesen Zusammenhängen. Sie sind womöglich professionell genug, sich selbst nachher einzureden, die Effekte gälten nur für die „dummen Kunden“, zu denen sie selbst nicht gehören …  sie wissen zwar, dass das nicht stimmt, aber irgendwie muss man ja sein Selbstwertgefühl im Lot halten. Aber item.

Die Sache ist dramatisch und unscheinbar zugleich. Steigen wir sanft ein. Stellen Sie sich vor, ich offeriere Ihnen einen Bücher-Gutschein für 10 Franken und zwar „gratis“. Damit können Sie Bücher, Musik oder anderes mehr nach Ihrer Wahl kaufen.  Würden Sie ihn annehmen? Wahrscheinlich schon, nicht wahr. Bevor Sie aber zugreifen, sage ich Ihnen, Sie könnten stattdessen auch einen 20 Franken-Gutschein haben, zwar nicht gratis aber mit satten 70% Rabatt. Er würde Sie nur 6 Franken kosten. Wie entscheiden Sie sich? – Wenn Sie wie die meisten entscheiden, dann bleiben Sie doch lieber beim Gratis-Gutschein und sind erst noch zufrieden mit Ihrer Wahl. Dabei reichen die Rechenkünste der meisten Menschen problemlos aus um festzustellen, dass Sie im ersten Fall 10 Franken geschenkt erhalten, im anderen Fall aber 14. Fazit: Viele von uns kriegen lieber 10 Franken geschenkt als 14. Wie bitte soll man das einem vernünftigen Menschen erklären? Und wenn das offenbar viele Menschen so tun: Wie soll man das in der Volkswirtschaftslehre berücksichtigen?


Der Grund, dass viele ein 10-Franken-Geschenk einem 14-Franken-Geschenk vorziehen, liegt in der „Verpackung“: Auf der einen steht „gratis“, auf der anderen nicht. Verschiedene Experimente bestätigen, dass wir völlig unvernünftig handeln, sobald es etwas gratis gibt. Hier ein Beispiel:


Möchten Sie lieber eine Lindt-Praline für nur 15 Cent oder ein Hershie-Praline für 1 Cent? So wurden Studierende in den USA gefragt und zwar nicht in einem Fragebogen, sondern an einem Stand, wo beide Sonderangebote tatsächlich erhältlich waren – allerdings gab es nur eine Praline pro Person. Lindt-Pralinen gelten offenbar auch in den USA als besonders gut, sie kosten normalerweise das Dreifache vom Preis in diesem Experiment. Hershie-Pralinen gelten als auch okay, aber sind etwas weniger Besonderes. Der Verkauf der Pralinen Lindt vs. Hershie ergab 73: 27, fast dreimal so viele Lindt-Pralinen wurden verkauft. Das hat niemanden wirklich erstaunt. Interessant wurde es, als beide Preise um 1 Cent gesenkt wurden: Lindt Praline 14 Cent, Hershie-Praline 0 Cent Diese Veränderung war ja nur minim, an den Preis-Grössenordnungen hat sich nichts geändert und nun waren die Forscher gespannt auf die Verkaufsresultate. Der Effekt war dramatisch:  31:69. Statt fast dreimal mehr wurden jetzt nur noch halb so viele Lindt-Pralinen „verkauft“. Viele Menschen entschieden sich also womöglich für ein Produkt, das sie gar nicht unbedingt haben wollen, sobald „gratis“ im Spiel ist. Weitere Experimente haben diesen Zusammenhang bestätigt und auch die gängigsten Einwände entkräftet.

Gute Verkäufer wissen dies längt, die entsprechenden Verkaufspraktiken, sind bereits eingeführt: Onlineshops senken wo immer möglich die Versandkosten auf null, weil dann mehr gekauft wird; Detailhändler geben im Sonderangebot lieber ein Gadget  gratis dazu statt einen gleichwertigen Preisabschlag, weil dann mehr zugelangt wird. Nun dämmert es den Volkswirten langsam, dass der „Gratis-Effekt“ eine weitere von vielen Arten ist, wie Wettbewerb zu unerwünschten Wirkungen führt, die in der klassischen Theorie nicht vorkommen: Trotz freier Wahl kaufen wir Dinge, die wir eigentlich nicht wollen und finanzieren jene Firmen damit, die uns bloss besser übertölpeln. Der „Gratis-Effekt“  ist daher einer der vielen Gründe, warum uns Wirtschaftswachstum nicht glücklicher macht.

Fazit: Wenn Sie das nächste Mal beim Einkaufen sind und es gibt irgendwo etwas angeblich „gratis“, dann nehmen Sie sich in Acht! –  Diesen Hinweis gebe ich Ihnen übrigens gratis.

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  • Montag, 5. September 2016

    Versprechen

    Was leicht aussieht, wird oft erst als schwierig erkannt, wenn man versucht es nachzumachen. So scheint zum Beispiel die menschliche Fähigkeit etwas zu versprechen, als etwas relativ Banales. Soll sie aber Robotern beigebracht werden erkennen wir, wie vielschichtig das Ganze ist. Das Entscheidende an einem Versprechen ist natürlich nicht, es zu geben, sondern es dann auch einzuhalten … naja, wenigstens meistens. Es erfordert die Fähigkeit zur Selbstverpflichtung.


    [Werde ich je einem Roboter etwas versprechen?]


    Ökonomisch gesehen ist das interessant, weil sich der kurzfristig denkende Optimierer grundsätzlich nur an Abmachungen hält, sofern sie ihm im Nachhinein immer noch in den Kram passen. Typischerweise ist das natürlich nicht der Fall, denn die Vorteile aus dem gegebenen Versprechen erhält man rasch, die Nachteile kommen später und eben nur, wenn man seine Versprechungen einhält.
    Der langfristige Optimierer erkennt zwar dieses Problem ebenfalls, aber er erkennt zudem, dass ihm irgendwann keiner mehr vertraut. Und einige sehr wertvolle Dinge lassen sich ohne Vertrauen gar nicht bewerkstelligen. Sein Ruf ist ihm also wichtig. Um nicht zu sagen: teuer. Er ist nicht bereit, den Ruf zu opfern für einen kurzfristigen Vorteil. Er würde aber jederzeit Versprechen brechen, wenn er sicher sein könnte, dass niemand davon erfährt. Auch nicht gerade ein Ausbund von Tugend.
    Tieren trauen wir nur sehr eingeschränkt Selbstverpflichtung zu. Wer sagt schon zu seinem Hund: „Okay, Du kriegst Dein Fressen jetzt, aber nachher gehst Du mir die Zeitung holen, abgemacht?“ Viele würden aber schon erwarten, dass der Hund einen gegen Einbrecher verteidigt, obwohl er das nie so direkt versprochen hat. - Eine wichtige Frage scheint zunächst also, was trauen wir Robotern zu? In der Praxis ist dies jedoch überraschenderweise ziemlich gleichgültig, denn Menschen verhalten sich höchst unlogisch: Obwohl die meisten Menschen Robotern die Fähigkeit absprechen, Versprechungen einzugehen oder umgekehrt, das Einhalten der eigenen Versprechungen zu erkennen und zu honorieren, benehmen wir uns trotzdem oft so, als sei dies eben doch der Fall. Haben Sie nicht auch schon Leute beobachtet, die ihren Computer verflucht haben oder auf ihr Smartphone wütend waren, weil es ihnen etwa die „versprochene“ Adresse eines Freundes nicht liefern wollte? Wenn ein sonst so treues Gerät den Dienst plötzlich versagt, wird es beschimpft, als hätte es seinen Besitzer absichtlich und hinterhältig in eine missliche Lage gebracht.
    Wenn so etwas schon mit einem ziemlich rechteckigen Gerät passiert, wie behandeln wir dann Maschinen, die so aussehen wie Menschen - und sich erst noch in verschiedener Hinsicht so verhalten? Werden wir von Ihnen Emotionen und moralisches Verhalten erwarten oder es ihnen zuschreiben? Das scheint nicht allzu abwegig. – Dem legendären Komiker Groucho Marx wird folgender Spruch zugeschrieben: „Ehrlichkeit. Sobald Du sie vortäuschen kannst, hast Du’s geschafft.“ Scheinbar hat diese Denke nun Eingang in die Programmierstuben gefunden. Man stellt beispielsweise fest, dass Menschen einer Maschine eher moralisches Verhalten zugestehen, wenn sie erst zögert, bevor sie sich dann selbstlos verhält. Der Mensch entpuppt sich also bei genauerem Hinschauen als äussert leicht manipulierbares Wesen. Aber was passiert mit uns, wenn diese Manipulierbarkeit systematisch ausgenutzt wird? Wenn diese Ausnutzung wörtlich „zum Programm“ wird? Welchen Ruf werden sich die Roboter schaffen? Und wird es ein genereller Ruf sein oder einer, der sich auf bestimmte Modelle beziehen? Oder wird sich gar jede einzelne Maschine einen individuellen Ruf schaffen?
    Prickelnder noch finde ich folgende Frage: Werde ich je einem Roboter ein Versprechen geben können, ohne mir später wie ein Idiot vorzukommen? – Ich vermute, eher nicht. Aber dieses Gedankenexperiment zeigt eins: Die Natur von menschlichen Beziehungen könnte durch die Übertragung auf Maschinen nicht nur strapaziert werden, es könnte auch zu einer Klärung führen, was im Kern menschlich ist. Das scheint mir zentral. Ich weiss zwar nicht, was die Technologie uns künftig noch alles für Möglichkeiten bieten wird, aber ich werde ihr punkto Menschlichkeit genau auf die Finger schauen. Versprochen.

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    Mittwoch, 3. August 2016

    Zeitbuchhaltung



    Nicht alles, was auf Anhieb stumpfsinnig klingt, bestätigt sich bei näherer Betrachtung als Bieridee. So mag ein Begriff wie „Zeitbuchhaltung“ zunächst irritierende Assoziationen auszulösen wie die Vorstellung, dass wir akribisch Buch führen müssten, wie wir unsere Zeit verbringen, wo wir doch schon genug administrativen Kram am Hals haben. Gemeint ist aber, dass nationale statistische Büros das für uns tun, indem sie eine genügend grosse Zahl von uns befragen, um eine verlässliche Schätzung abzugeben. Zwar haben solche Büros ebenfalls genug administrativen Kram am Hals, aber wenn sie es so tun, wie es vorgeschlagen wird, könnte das Resultat den Aufwand mehr als rechtfertigen.

    [Das Addieren von Glück könnte gelingen.]

    Die Geschichte geht so: Wir alle wissen, dass materieller Wohlstand irgendwie cool ist, keiner möchte wirklich verzichten, aber wir wissen auch, dass Geld allein nicht glücklich macht. Die traditionelle Messung des Bruttosozialproduktes ist folglich so, als ob wir während einer Schatzsuche nur unseren Tacho anschauen, das Navi aber ausgestellt lassen und denken würden: Je schneller wir fahren, desto früher finden wir den Schatz. Ein Navi wäre also nicht schlecht.
    Wir wissen alle, dass Glück zu einem guten Teil Privatsache ist, indem jeder dafür seine Verantwortung wahrzunehmen hat, aber wir wissen auch, dass dies unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen schwerer fällt als unter anderen. Der Staat kann und soll nicht die ganze Verantwortung für unser Glück tragen, aber seinen Teil eben sehr wohl, bitte sehr. Und damit er das tun kann, braucht er Messgrössen um festzustellen, ob das, was er da tut, in die richtige oder in die falsche Richtung wirkt.
    Seit mehreren Jahrzehnten befassen sich Wissenschaftler mit der Frage, wie man Lebenszufriedenheit messen kann und solche Messungen werden auch fleissig im grossen Stil veranstaltet.  Verschiedene Messinstrumente wurden für verschiedene Zwecke konstruiert, validiert und verbessert. Das Resultat ist sehr erfreulich. Heute kann man unterschiedliche Aspekte von „Glück“ wie etwa kurzfristiger, positiver Affekt oder längerfristige Lebenszufriedenheit gut auseinanderhalten, man kann sie kostengünstig erheben und man kennt die Schwierigkeiten der Messinstrumente ebenso wie die Wege, wie man sie umgehen kann. Mühe bereitet aber nach wie vor das das sinnvolle Zusammenzählen. Schwer ist nicht das Addieren von Ziffern und auch nicht wirklich, das Beantworten dieser Frage: Bedeutet für mich 7 auf einer 10er-Glücks-Skala das Gleiche wie für Sie? – (Aus dem Addieren von Geld machen wir ja auch keine Geschichte, dabei könnten wir mit gutem Recht fragen, ob 10‘000 Franken für mich dasselbe bedeuten wie für Sie, aber das ist ein anderes Thema.)
    Klar ist folgendes: Eine Gesellschaft mit einem durchschnittlichen Glücksindex von 5 ist weniger erstrebenswert als eine mit Glücksindex 9. Schon schwieriger wird es, wenn wir zwei Gesellschaften vergleichen, die beide den Glückindex 7 aufweisen: Im einen Fall resultiert 7 aus lauter recht zufriedenen (6-8), im anderen Fall aus vielen Hochzufriedenen (10) aber einigen Depressiven (1).  Viele von uns würden wohl ersteren Zustand mit der geringeren Spannbreite vorziehen, aber durchaus nicht alle. Endgültig kompliziert wird es, wenn wir einen höheren Glückindex abwägen müssen gegen eine höhere Spannbreite. Man kann es zwar tun, aber wie immer man sich entscheidet, das Resultat bleibt methodisch anfechtbar. Geschmackssache. Jeder, dem das Resultat nicht gefällt, kann das Verfahren angreifen. So geht es natürlich nicht.
    Hier kommt die Zeitbuchhaltung ins Spiel. Sie misst, wieviel Zeit wir „unzufrieden“ verbringen. Die Intensität der Unzufriedenheit spielt keine Rolle. Man verwendet also nicht alle verfügbare Information, was an sich irgendwie unschön ist, aber es resultiert etwas, worauf man sich möglicherweise international verständigen kann: Einen Index, der auf der simplen Idee basiert „Je weniger Zeit wir unzufrieden verbringen, desto besser.“ Diese Idee ist nicht neu, und sie wird von führenden Forschern unterstützt. Poetisch ausgedrückt hat sie Carl Sandburg: „Zeit ist die Münze Deines Lebens. Es ist die einzige Münze, die Du hast und nur Du kannst bestimmten, wie sie verwendet wird. Sieh zu, dass nicht andere sie für Dich ausgeben. - Egal ob wir es nun lieber pragmatisch oder poetisch mögen: Ein bisschen mehr Ahnung zu haben, wofür wir unsere Zeit eigentlich „ausgeben“ wäre nicht schlecht.  Aber ich gebe gern zu: Eine noch so gute Idee hat es schwer, wenn sie „Zeitbuchhaltung“ heisst. Bleibt zu hoffen, dass ein paar Leute etwas Zeit auf zufriedene Weise verbringen, um einen attraktiveren Namen zu finden.

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