Freitag, 4. Oktober 2019

Smarte Ziele


Das «Smart-Ziel» gehört in den unverzichtbaren Instrumenten jedes smarten Betriebswirtschafters, der in einer Unternehmensberatung arbeitet und alles etwas besser weiss als Sie. Vielleicht schaut dieser Berater ja bereits morgen in Ihrer Firma vorbei, wer weiss? «Sie müssen Ziele halt smart formulieren!» Dagegen ist kaum Gehaltvolles einzuwenden, danke für den Tipp. Smart heisst aber nicht einfach «schlau».

[Sind smarte Ziele wirklich schlau?]


Die fünf Buchstaben stehen für die Initialen von fünf angeblich wünschbaren Eigenschaften, welche gute Ziele haben sollten. Das kann Ihnen der smarte Betriebswirtschafter herunterbeten. S steht für spezifisch. M für messbar. A für attraktiv. R für realistisch. Und T für terminiert. Wenn Sie den Betriebswirtschafter dann fragen, wie das seiner Meinung nach konkret aussehen würde, etwa bei Micha, dem glatzköpfigen, bärtigen Muskelmann, der seit 10 Jahren im Lager arbeitet, aber in letzter Zeit etwas unmotiviert ist, dann ist es mit dem Besserwissen bald vorbei. Schade eigentlich, jetzt, wo’s spannend würde.
Was man dem Betriebswirtschafter in seinem Studium auch erzählt hat ist, dass Menschen, denen man Freiräume lässt und Vertrauen schenkt sich oft als erstaunlich kreativ und loyal erweisen. Und wenn man ihnen Vorgaben macht und sie eng kontrolliert, dass sich dann wohl oder übel den Rahmenbedingungen fügen, aber zu Passivität und Drückebergertum neigen. Das war allerdings im ersten Semester und es war eine uralte Theorie an den 60er-Jahren, die womöglich längst überholt ist. Zudem gibt es dafür keine so einprägsame Abkürzung wie «smart». Obendrein weiss der Betriebswirtschafter aus eigener Erfahrung, dass er auch nur wirklich für die Prüfungen gelernt hat, als ihm das Wasser bis zum Hals stand. Ohne Druck hätte der den Abschluss nie geschafft. Es wird also bei anderen Menschen nicht anders sein. Es wäre ja wirklich merkwürdig, wenn andere Menschen mehr Selbstdisziplin hätten als er selbst. So hat er diese alte Theorie wieder vergessen, um nicht zu sagen: verdrängt.
Ein Blick in die aktuelle Fachliteratur zeigt allerdings, dass diese alte Theorie aus den 60er-Jahren alles andere als überholt ist. Im Gegenteil. Sie hat sich nicht nur in vielerlei Hinsicht bestätigt, sondern es wurde auch detailreich gezeigt, wie man es denn anstellen kann, um sogenannt „transformational“ zu Führen. Wenn der Betriebswirtschafter sich erinnern würde, könnte er vier Aspekte aufzählen und erläutern: «Einfluss durch Vorbild» meint zum Beispiel, dass die Führungskraft von den Mitarbeitenden nur fordert, was sie selbst auch tun würde (nicht dass man immer alles besser weiss). «Inspiration bedeutet», dass sie die Mitarbeitenden mit einer positiven Begegnungsart, mit Zuversicht und Tatendrang ansteckt (nicht, dass sie sie damit überfordert). «Individuelle Rücksichtnahme» bedeutet, dass die Führungskraft die Mitarbeitenden genau kennt und weiss, was sie brauchen, um viel zu leisten (nicht dass sie Schlampigkeit duldet). Und «intellektuelle Stimulation» bedeutet, dass sie die Mitarbeitenden dazu auffordert, über Dinge nachzudenken und ihnen aufmerksam zuhört, wenn sie ihre Denkresultate mitteilen (nicht dass sie abgehobene Vorträge hält).
Ein paar Jahre später kommt der nicht mehr ganz so junge Betriebswirtschaften in eine Weiterbildung und wird gefragt, welches denn der beste Vorgesetzte war, den er je gehabt habe. Und wieviel mehr er für diesen Chef geleistet habe als für andere. Und vor allem: Wodurch sich dieser Chef ausgezeichnet habe. Als er seine Erfahrungen aus der Erinnerung heraufbeschworen hat, merkt er, dass sein bester Chef «transformational» geführt hat. Und die Chefs mit den smarten Zielen hatte er gehasst. Merkwürdig, nicht? – Fazit: Eine Hochschule, die möchte, dass Studierende solches auf Anhieb begreifen und nicht erst ein Jahrzehnt später, müsste vielleicht den Lehrplan anpassen. Vielleicht sollte sie weniger auf traditionellen Unterricht mit Prüfungen setzen und stattdessen eher transformational unterrichten und prüfen. Das ist keinesfalls einfach. Aber in Anbetracht dessen, was künftig auf dem Arbeitsmarkt wirklich zählt, glaube ich, das wäre eine wirklich smarte Zielsetzung.


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