„Stubsen“ (engl. nudge) ist ein Ansatz, menschliches
Verhalten zu beeinflussen, ohne irgendetwas zu verbieten. Er basiert nicht auf
dem Preismechanismus (Lenkungsabgaben), sondern auf psychologischen
Gesetzmässigkeiten. Stubsen ist an sich nichts Neues, wir werden als
Konsumenten von der Wirtschaft laufend gestubst.
[Wir werden ohnehin gestubst - warum also nicht auch vom Staat?]
Der zumindest für Eltern
offensichtlichste Ansatz ist die Verkaufsauslage mit Süssigkeiten an der Kasse
des Detailhändlers: Während dem Schlangestehen müssen wir diesen Süssigkeiten
widerstehen und das gelingt bekanntlich den ganz Jungen unter uns nicht sonderlich
gut. Daher kommt übrigens der branchenübliche Fachausdruck „Quengelständer“.
Die Verkaufspsychologie hat aber weit ausgefeiltere Tricks auf Lager. Weil
Männer beim Kleiderkauf ihrer Partnerin oft nur stören, kann man sie manchmal beim
Eingang in einer Gamer-Ecke „deponieren“, so lässt sich der Verweildauer der
Kundin im Geschäft und ergo auch der Umsatz in die Höhe treiben. Teure Waren
sehen fast wie ein Schnäppchen aus, wenn sie neben völlig grotesk überteuerten
Waren anzutreffen sind. Und den wirklich billigen Kugelschreiber gibt es nur im
Dreierpack, das dann nur minim günstiger ist als ein einziger Kulli des nächst teureren
Modells. Kunden entschliessen sich so viel eher für letzteres.
Zugegeben,
die ganze Geschichte wird je genauer wir hinsehen desto unappetitlicher, denn
nicht nur werden wir als manipulierbare Wesen entlarvt, sondern es wird auch
transparent, mit welcher unerbittlichen Präzision die Wirtschaft auf unsere
menschlichen Schwächen abzielt, um uns das tun zu lassen, was die Kasse
klingeln lässt.
Neu am
„Stubsen“ ist die Idee, dass der Staat stubsen soll. Er würde aber hoffentlich
nicht wie die Wirtschaft private Interessen verfolgen, sondern er würde uns anstubsen,
Dinge zu tun, die wir im Grunde selbst tun wollen. Dinge, die für uns selbst
oder für die gesamte Gesellschaft nützlich sind. Das wohl harmloseste Beispiel
ist das Bild einer Fliege, das im Pissoir an der richtigen Stelle aufgeklebt
dazu führt, dass Männer besser treffen und der Reinigungsaufwand für öffentliche
Toiletten sinkt. Heikler wird es beim Thema Organspenden. Braucht der Spender
einen Spenderausweis ist die nationale Quote von Organspender wesentlich tiefer
als wenn dasselbe Spiel umgekehrt organisiert wird und alle Nichtspender einen
Nichtspenderausweis benötigen. Das Elegante daran ist, dass durch diese
Massnahme niemand zum Organspenden gezwungen wird, jeder ist jederzeit frei, Spender
oder eben Nichtspender zu sein. Eine weitere Einsatzmöglichkeit ist es, in
Schulkantinen Äpfel und Vollkornbrote vorn und in Griffnähe zu präsentieren und
Schokoriegel ganz hinten, unten in der Ecke. Die Schüler bleiben frei, was sie
sich kaufen, aber im kompletten Gegensatz zum traditionellen Quengelständer-Ansatz,
wird es ihnen leicht gemacht, Dinge zu kaufen, die ihnen und ihrer Gesundheit gut
tun.
Nun kann man
sich natürlich unangemessene Anwendungen von staatlichem Stubsen vorstellen. Das
ist aber kein guter Grund, es gar nicht erst zu versuchen. Wenn wir ehrlich
sind, müssen wir zugeben, dass wir ohnehin gestubst werden. Irgendein Ständer
muss bei der Kasse stehen. Irgendein Verfahren brauchen wir, um Organspender
von Nicht-Organspender zu unterscheiden. Wenn wir einigermassen in unseren
Staat vertrauen, gibt es kaum Gründe, diesem Ansatz keine Chance zu geben. Im
Gegenteil. Ich jedenfalls würde zu gesunder Ernährung, etwas mehr Bewegung und
etwas weniger Stress gerne ab und zu gestubst. Und ich habe so das Gefühl, dass
ich da nicht der Einzige bin. Mögen also kluge Köpfe sich dazu angestubs
fühlen, weitere schlaue Anwendungen zu finden.
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