Freitag, 4. März 2016

Stubsen



 „Stubsen“ (engl. nudge) ist ein Ansatz, menschliches Verhalten zu beeinflussen, ohne irgendetwas zu verbieten. Er basiert nicht auf dem Preismechanismus (Lenkungsabgaben), sondern auf psychologischen Gesetzmässigkeiten. Stubsen ist an sich nichts Neues, wir werden als Konsumenten von der Wirtschaft laufend gestubst.

[Wir werden ohnehin gestubst - warum also nicht auch vom Staat?]

Der zumindest für Eltern offensichtlichste Ansatz ist die Verkaufsauslage mit Süssigkeiten an der Kasse des Detailhändlers: Während dem Schlangestehen müssen wir diesen Süssigkeiten widerstehen und das gelingt bekanntlich den ganz Jungen unter uns nicht sonderlich gut. Daher kommt übrigens der branchenübliche Fachausdruck „Quengelständer“. Die Verkaufspsychologie hat aber weit ausgefeiltere Tricks auf Lager. Weil Männer beim Kleiderkauf ihrer Partnerin oft nur stören, kann man sie manchmal beim Eingang in einer Gamer-Ecke „deponieren“, so lässt sich der Verweildauer der Kundin im Geschäft und ergo auch der Umsatz in die Höhe treiben. Teure Waren sehen fast wie ein Schnäppchen aus, wenn sie neben völlig grotesk überteuerten Waren anzutreffen sind. Und den wirklich billigen Kugelschreiber gibt es nur im Dreierpack, das dann nur minim günstiger ist als ein einziger Kulli des nächst teureren Modells. Kunden entschliessen sich so viel eher für letzteres.
Zugegeben, die ganze Geschichte wird je genauer wir hinsehen desto unappetitlicher, denn nicht nur werden wir als manipulierbare Wesen entlarvt, sondern es wird auch transparent, mit welcher unerbittlichen Präzision die Wirtschaft auf unsere menschlichen Schwächen abzielt, um uns das tun zu lassen, was die Kasse klingeln lässt.
Neu am „Stubsen“ ist die Idee, dass der Staat stubsen soll. Er würde aber hoffentlich nicht wie die Wirtschaft private Interessen verfolgen, sondern er würde uns anstubsen, Dinge zu tun, die wir im Grunde selbst tun wollen. Dinge, die für uns selbst oder für die gesamte Gesellschaft nützlich sind. Das wohl harmloseste Beispiel ist das Bild einer Fliege, das im Pissoir an der richtigen Stelle aufgeklebt dazu führt, dass Männer besser treffen und der Reinigungsaufwand für öffentliche Toiletten sinkt. Heikler wird es beim Thema Organspenden. Braucht der Spender einen Spenderausweis ist die nationale Quote von Organspender wesentlich tiefer als wenn dasselbe Spiel umgekehrt organisiert wird und alle Nichtspender einen Nichtspenderausweis benötigen. Das Elegante daran ist, dass durch diese Massnahme niemand zum Organspenden gezwungen wird, jeder ist jederzeit frei, Spender oder eben Nichtspender zu sein. Eine weitere Einsatzmöglichkeit ist es, in Schulkantinen Äpfel und Vollkornbrote vorn und in Griffnähe zu präsentieren und Schokoriegel ganz hinten, unten in der Ecke. Die Schüler bleiben frei, was sie sich kaufen, aber im kompletten Gegensatz zum traditionellen Quengelständer-Ansatz, wird es ihnen leicht gemacht, Dinge zu kaufen, die ihnen und ihrer Gesundheit gut tun.
Nun kann man sich natürlich unangemessene Anwendungen von staatlichem Stubsen vorstellen. Das ist aber kein guter Grund, es gar nicht erst zu versuchen. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass wir ohnehin gestubst werden. Irgendein Ständer muss bei der Kasse stehen. Irgendein Verfahren brauchen wir, um Organspender von Nicht-Organspender zu unterscheiden. Wenn wir einigermassen in unseren Staat vertrauen, gibt es kaum Gründe, diesem Ansatz keine Chance zu geben. Im Gegenteil. Ich jedenfalls würde zu gesunder Ernährung, etwas mehr Bewegung und etwas weniger Stress gerne ab und zu gestubst. Und ich habe so das Gefühl, dass ich da nicht der Einzige bin. Mögen also kluge Köpfe sich dazu angestubs fühlen, weitere schlaue Anwendungen zu finden.  

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