Der Begriff „Geldillusion“ stammt nicht – wie man vielleicht meinen könnte – aus einem antikapitalistischen Vokabular, sondern gehört zum Standard-Repertoire der allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Geldillusion bezeichnet die Tatsache, dass Menschen bei unerwarteter Inflation sich eine Weile lang über den Wert des Geldes täuschen können. Man bekommt eine Lohnerhöhung, freut sich und fängt an, mehr Geld auszugeben; dabei merkt man gar nicht, dass die Waren im Gleichschritt mit der Lohnerhöhung teurer geworden sind und dass man eigentlich nicht mehr verdient als zuvor. Mir persönlich hat diese Theorie zwar nie ganz eingeleuchtet. Meiner Erfahrung nach wissen jene Menschen, die sich vornehmlich mit dem Ausgeben des Haushaltsgeldes befassen, sehr genau, was die Dinge kosten*. Aber item.
[Viele Menschen machen sich darüber Illusionen, welchen Beitrag Geld zu ihrem langfristigen Glück leistet.]
Der Zusammenhang ist empirisch gut belegt und Ökonomen haben sich dazu auch eingehend Gedanken gemacht. Etwa, dass eine
Nationalbank, um die Wirtschaft anzukurbeln, unerwartet etwas Geld drucken und damit Inflation produzieren könnte. Dank der Geldillusion würde die Nachfrage
kurzfristig steigen. Man weiss aus Erfahrung zwar, dass das funktioniert, man ist
sich aber auch einig, dass das keine allzu schlaue Idee ist, weil sich die
Leute ja nur kurzfristig täuschen und die Nationalbank längerfristig ihre
Glaubwürdigkeit verspielt. Und weil Inflation es den Leuten schwer macht,
längerfristige Verträge abzuschliessen. Und weil Inflation den Wert des
Geldvermögens mindert, also die Sparer trifft.
Die Teuerung
betrug in der Schweiz 2014 ziemlich genau 0% und die Prognosen für die kommenden
Jahre liegen kaum höher. In Zeiten wie diesen, scheinen
Inflation und Geldillusion gar kein Thema zu sein. Ausser man ringt dem Begriff
„Geldillusion“ eine andere, weniger konventionelle Bedeutung ab und bezieht ihn
darauf, dass sich viele Menschen darüber Illusionen machen, welchen Beitrag Geld
zu ihrem langfristigen Glück leistet. Hier liesse sich tatsächlich festhalten,
dass insbesondere relativ wohlhabende Menschen sich systematisch darüber
täuschen, wie sehr die Lohnerhöhung eines Karriereschritts sich auf ihre
Lebenszufriedenheit auswirkt. Der Effekt ist zwar da, aber er verpufft innert
weniger Monate weitgehend. An den neuen Wagen, den man sich folglich leistet,
hat man sich rasch gewöhnt und man findet sich in einem neuen Kollegenkreis wieder,
in dem alle mehr verdienen und tollere Autos fahren. Der mittelfristige
Zufriedenheits-Effekt ist nahe bei null. Diesen Zusammenhang könnte man zwar mit Fug
„Geldillusion“ nennen, er wird aber gemeinhin „Hedonistische Tretmühle“ genannt. Dazu kommt dann noch, dass
die zusätzliche Verantwortung und die Mehrbelastung bleiben. An Stress gewöhnt
man sich nämlich nicht. Und die Zeit, die wir statt mit Freunden zu verbringen dazu
aufgewendet haben, um unsere Vorgesetzten zu beeindrucken, kommt nicht wieder.
Verstehen
Sie das richtig: Sollten Sie gerade dabei sein, Ihren nächsten Karriereschritt
zu planen, so lassen Sie sich nicht abhalten. Aber tun Sie es, weil die Aufgabe
Sie reizt, weil Sie Freude an einer neuen Tätigkeit verspüren, nicht wegen des Geldes. Denn,
letztlich handelt es sich beim Geld ja nur um bunte Papierchen. Sie sind
eigentlich nichts Wert. Ihr praktischer Wert besteht ja nur deshalb, weil wir kollektiv daran
glauben, dass sie etwas wert seien und weil alle mitspielen in diesem Spiel. Viellicht
liegt ja auch hier der tiefere Sinn des Begriffs „Geldillusion“.
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*) Dass Frauen gut mit Geld umgehen können, wird übrigens eindrücklich
belegt in der sehenswerten Online-Ausstellung: www.frauenundgeld.ch