Dienstag, 3. Oktober 2023

(Schweige-)Retreat

 Bild: pexles / Sound onFoto von Sound On: https://www.pexels.com/de-de/foto/nahaufnahmefoto-der-frau-im-gelben-hemd-3761026/

Retreat bedeutet zunächst einmal Rückzug. Obwohl ein Rückzug das Gegenstück zum Angriff oder Vormarsch sein kann, kann Retreat auch als Gegenstück zum Alltag verstanden werden: Man zieht sich zurück aus dem Tagesgeschäft, um sich für begrenzte Zeit konzentriert Wichtigem zu widmen. In Achtsamkeits-Traditionen sind Schweigeretreats bekannt, an denen Teilnehmende zur Meditation und tiefer Versenkung angeleitet werden. Teilnehmende berichten regelmässig davon, dass es ihnen sehr gutgetan und mehr Klarheit über Wichtiges im Leben gebracht hat. Typischerweise gilt der Besuch eines Schweigeretreats als Freizeitaktivität. Und zwar als solche, die nur von einem begrenzten Teil der Gesellschaft als wertvoll erachtet wird. Der andere Teil der Gesellschaft, der damit wenig Berührung hatte, hat womöglich Vorurteile. Weil Vorurteile "vermutet" werden, erfährt dieser Teil der Gesellschaft auch wenig, obwohl vielleicht ein Nachbar, eine Geschäftskollegin, ein Schwager oder der eigene Gemeindepräsident gerade kürzlich einen Retreat besucht hat. Denn sie alle schweigen darüber – was dem Begriff Schweige-Retreat eine durchaus doppeldeutige Note verleiht.

Die französisch ausgesprochene Version des Retreats, die «Retraite», ist da ganz anders aufgestellt. Insbesondere die «Strategie-Retraite». Sie ist in der betriebswirtschaftlichen Literatur bestens bekannt, ein möglicherweise zweitägiger Anlass, an dem ein Managementteam intensiv an der Unternehmensstrategie arbeiten will und bewusst auch eine andere Umgebung sucht, um den Kopf frei vom Tagesgeschäft zu halten. Dabei ist das Abendprogramm meist wichtiger Bestandteil, der vordergründig dem Vergnügen dient, im Grunde aber dem Vertiefen von Beziehungen. Dabei wird keinesfalls geschweigen, im Gegenteil: Es gibt teils heftige Auseinandersetzungen, im guten Fall produktive, es wird viel gelacht und am Schluss sind gegen 30 Flipchartseiten vollschrieben, die abfotografiert und weiterverarbeitet werden, damit deren Inhalte zur Umsetzung gelangen. - Der Kontrast zu einem Schweige-Retreat, aus dem man bloss mit einer unsichtbaren Erkenntnis zurückkommt, könnte kaum grösser sein. Darüber könnte man die zentrale Gemeinsamkeit glatt übersehen: Die neugewonnene Orientierung.

Wenn wir in die Standard-Kiste von Personalentwicklungsmassnahmen blicken, sehen wir Weiterbildungen, Fachkurse, Seminare, berufsbegleitende MBA-Programme, auch Qualitätszirkel und mittlerweile auch Seitenwechsel, Working-out-Loud, Shadowing und Sabbaticals. Aber Retreats finden sich da nicht. Das ist erstaunlich. Gerade in der heutigen Welt, deren Turbulenz und dynamisch sprichwörtlich ist, und in der sich äussere Strukturen immer rascher ändern. Da ist es doch von zentraler Bedeutung, dass Führungskräfte in sich selber ruhen. Dass sie von den Anforderungen des Alltags nicht mitgerissen werden und wenn doch, dass sie rasch zu sich zurückfinden, weil sie eine innere Orientierung haben. Es müsste im ureigensten Interesse von Unternehmungen sein, integriert in HR-Abteilungen und deren Personalentwicklungskonzepte, dass Führungskräfte manchmal Retreats besuchen. Es müssen nicht buddhistische Retreats sein. Es müssen nicht Schweige-Retreats sein. Aber längere Momente, in denen man sich Zeit nimmt, nach innen zu schauen - und es aushält zu erkennen, was da ist, auch wenn man daran nicht so viel Freude hat. Um dann damit Frieden zu schliessen. Um es dann in Beziehung zu setzen zur äusseren Welt. Es braucht dazu keine Räucherstäbchen, sondern einfach eine fachkundige Anleitung.


Ich glaube, wir sollten aufhören, über Retreats zu schweigen.


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