Positive Psychologie und die Glücksökonomie befassen sich mit
Glück im Sinne der Lebenszufriedenheit oder im Sinne des "Aufblühens", also des Entwickelns
unseres menschlichen Potentials. Der Begriff Glück kann aber auch schlicht einen
erfreulichen Zufall bedeuten. Man sagt dann, jemand habe „Glück gehabt“. Dieses
Zufallsglück kommt wohl allen bekannt vor, denn jedem von uns sind Dinge
geglückt, die leicht hätten schief gehen können. Ebenso kennen wir auch das
Gegenteil, das Pech: Dinge laufen manchmal schief, die eigentlich klappen
müssten. Und so denken wir wahrscheinlich insgeheim, dass sich die Dinge auf
lange Sicht ausgleichen und dass es nicht lohnt, über Zufallsglück nachzudenken.
Nun, vielleicht lohnt es sich trotzdem.
[Das Zufallsglück wandelt sich insgeheim.]
Zum ersten ist es durchaus nicht selbstverständlich, dass
sich die positiven und negativen Zufälle im wirklichen Leben ausgleichen. Wer es eilig hat und mit dem Auto in der Stadt unterwegs ist, macht jedenfalls
eine ganz andere Erfahrung. Er muss zum Schluss kommen, dass es wesentlich mehr
rote als grüne Ampeln gibt. Der Trugschluss entsteht, weil wir grüne Ampeln
kaum eine Sekunde wertschätzen, weil wir an ihnen vorbeirasen, während wir rote
Ampeln ausführlich zur Kenntnis nehmen, und uns nicht selten eine volle Minute
Zeit nehmen, um uns über sie zu ärgern. Das wäre dann ein Verhältnis von
1:60. Damit wir das Verhältnis als ausgewogen
erleben könnten, müsste es entweder 60 mal öfter grün sein, was recht
schwierig werden dürfte, oder wir müssten uns 60 mal länger über die grünen
Ampeln freuen, was ebenfalls recht schwierig wird, weil wir ja mit
Weiterfahren beschäftigt sind und kein Hupkonzert hinter uns provozieren wollen. Oder dann
dürften wir uns nicht so ausführlich ärgern, was im Normalfall womöglich gelingt,
aber nicht, wenn wir im Zeitdruck sind. Um tatsächlich glücklicher zu werden,
wäre also etwas Gelassenheit nicht schlecht. Sie könnte damit beginnen, dass
wir unserem mentalen Dialog zuhören. Sagt da oben im Kopf jemand „Warum muss
diese %&#-Ampel rot sein?!" oder sagt jemand „Sieht aus als ob ich zu
spät kommen werde. Wen kann ich anrufen und informieren?“ – Nicht dass das
einfach wäre, aber es ist machbar - nicht immer, aber immer öfter.
Zum zweiten bleibt das Zufallsglück, wenn es uns denn
trifft, nicht unbedingt Zufallsglück. Es wandelt sich insgeheim zum Vorwand für
eine hohe Selbsteinschätzung: Gerne erfinden wir Geschichten, warum der Zufall
kein Zufall war, sondern nichts als die Wirkung unserer eigenen Anstrengung und
Kompetenz. Reiche jedenfalls halten ihren Reichtum für selbst erarbeitet,während Arme meinen, für ihre Armut nichts zu können. Ist diese Asymmetrie
nicht seltsam? Insbesondere erfolgreiche Unternehmer halten ihren Erfolg für selbst
erarbeitet. Dabei waren sie vielleicht nur zufällig zur richtigen Zeit am
richtigen Ort. Wenn ihre Kompetenz die Ursache wäre, müsste sich der Erfolg
aber wiederholen lassen. Tatsächlich beobachten wir aber, dass nur sehr, sehr
wenige Unternehmer mit mehreren Firmen erfolgreich sind. Sogar Bill Gates gibt zu, dass ein Erfolg mit Microsoft und Windows Zufall war. Was er und Steve Jobs
und viele andere Unternehmer in Anspruch nehmen dürfen, ist vor allem, dass sie
nicht aufgegeben haben. Immerhin. – Selten haben aber Top-Manager die
menschliche Grösse, den Zufall zu würdigen, der sie in ihre Spitzenposition
gebracht hat. Das wirkt nicht nur selbstverliebt und wenig vertrauenerweckend,
es ist auch dem Lebensglück abträglich, wenn man den glücklichen Zufall nicht
anerkennt. Wohl stärkt die selbstgefällige Interpretation der Dinge das
Selbstvertrauen, aber gleich an zwei Stellen ist mit massiven Glückseinbussen zu
rechnen. Der erste Aspekt ist die verminderte Dankbarkeit. Dankbarkeit zu empfinden und
auszudrücken, wo sie wirklich angebracht ist, trägt nachweislich viel zur
Lebenszufriedenheit bei. Der zweite Aspekt ist, dass man nun mit einer
Lebenslüge bezüglich der eigenen Kompetenzen unterwegs ist. Diese Lüge
aufrechtzuerhalten ist wohl möglich, aber es bringt psychische Spannungen mit
sich, die es schwer machen, warmherzige Beziehungen mit anderen zu pflegen. Seien
wir uns also bewusst, dass es kaum unser Verdienst ist, wenn es in den nächsten
Wochen nach feinen Weihnachts-Guezli duftet, dass wir kein Anrecht darauf
haben, Geschenke zu erhalten, dass wir wirklich fröhliche Momente und
warmherzige Beziehungen nur einladen, aber nicht erzwingen können. Und wenn nun
in den nächsten Wochen doch so einiges an Schönem in unserem Leben passiert,
mögen wir uns bewusst sein: Wir haben Glück!