Montag, 4. Dezember 2017

Glück haben (Zufallsglück)



Positive Psychologie und die Glücksökonomie befassen sich mit Glück im Sinne der Lebenszufriedenheit oder im Sinne des "Aufblühens", also des Entwickelns unseres menschlichen Potentials. Der Begriff Glück kann aber auch schlicht einen erfreulichen Zufall bedeuten. Man sagt dann, jemand habe „Glück gehabt“. Dieses Zufallsglück kommt wohl allen bekannt vor, denn jedem von uns sind Dinge geglückt, die leicht hätten schief gehen können. Ebenso kennen wir auch das Gegenteil, das Pech: Dinge laufen manchmal schief, die eigentlich klappen müssten. Und so denken wir wahrscheinlich insgeheim, dass sich die Dinge auf lange Sicht ausgleichen und dass es nicht lohnt, über Zufallsglück nachzudenken. Nun, vielleicht lohnt es sich trotzdem.

[Das Zufallsglück wandelt sich insgeheim.]

Zum ersten ist es durchaus nicht selbstverständlich, dass sich die positiven und negativen Zufälle im wirklichen Leben ausgleichen. Wer es eilig hat und mit dem Auto in der Stadt unterwegs ist, macht jedenfalls eine ganz andere Erfahrung. Er muss zum Schluss kommen, dass es wesentlich mehr rote als grüne Ampeln gibt. Der Trugschluss entsteht, weil wir grüne Ampeln kaum eine Sekunde wertschätzen, weil wir an ihnen vorbeirasen, während wir rote Ampeln ausführlich zur Kenntnis nehmen, und uns nicht selten eine volle Minute Zeit nehmen, um uns über sie zu ärgern. Das wäre dann ein Verhältnis von 1:60.  Damit wir das Verhältnis als ausgewogen erleben könnten, müsste es entweder 60 mal öfter grün sein, was recht schwierig werden dürfte, oder wir müssten uns 60 mal länger über die grünen Ampeln freuen, was ebenfalls recht schwierig wird, weil wir ja mit Weiterfahren beschäftigt sind und kein Hupkonzert hinter uns provozieren wollen. Oder dann dürften wir uns nicht so ausführlich ärgern, was im Normalfall womöglich gelingt, aber nicht, wenn wir im Zeitdruck sind. Um tatsächlich glücklicher zu werden, wäre also etwas Gelassenheit nicht schlecht. Sie könnte damit beginnen, dass wir unserem mentalen Dialog zuhören. Sagt da oben im Kopf jemand „Warum muss diese %&#-Ampel rot sein?!" oder sagt jemand „Sieht aus als ob ich zu spät kommen werde. Wen kann ich anrufen und informieren?“ – Nicht dass das einfach wäre, aber es ist machbar - nicht immer, aber immer öfter.
Zum zweiten bleibt das Zufallsglück, wenn es uns denn trifft, nicht unbedingt Zufallsglück. Es wandelt sich insgeheim zum Vorwand für eine hohe Selbsteinschätzung: Gerne erfinden wir Geschichten, warum der Zufall kein Zufall war, sondern nichts als die Wirkung unserer eigenen Anstrengung und Kompetenz. Reiche jedenfalls halten ihren Reichtum für selbst erarbeitet,während Arme meinen, für ihre Armut nichts zu können. Ist diese Asymmetrie nicht seltsam? Insbesondere erfolgreiche Unternehmer halten ihren Erfolg für selbst erarbeitet. Dabei waren sie vielleicht nur zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Wenn ihre Kompetenz die Ursache wäre, müsste sich der Erfolg aber wiederholen lassen. Tatsächlich beobachten wir aber, dass nur sehr, sehr wenige Unternehmer mit mehreren Firmen erfolgreich sind. Sogar Bill Gates gibt zu, dass ein Erfolg mit Microsoft und Windows Zufall war. Was er und Steve Jobs und viele andere Unternehmer in Anspruch nehmen dürfen, ist vor allem, dass sie nicht aufgegeben haben. Immerhin. – Selten haben aber Top-Manager die menschliche Grösse, den Zufall zu würdigen, der sie in ihre Spitzenposition gebracht hat. Das wirkt nicht nur selbstverliebt und wenig vertrauenerweckend, es ist auch dem Lebensglück abträglich, wenn man den glücklichen Zufall nicht anerkennt. Wohl stärkt die selbstgefällige Interpretation der Dinge das Selbstvertrauen, aber gleich an zwei Stellen ist mit massiven Glückseinbussen zu rechnen. Der erste Aspekt ist die verminderte Dankbarkeit. Dankbarkeit zu empfinden und auszudrücken, wo sie wirklich angebracht ist, trägt nachweislich viel zur Lebenszufriedenheit bei. Der zweite Aspekt ist, dass man nun mit einer Lebenslüge bezüglich der eigenen Kompetenzen unterwegs ist. Diese Lüge aufrechtzuerhalten ist wohl möglich, aber es bringt psychische Spannungen mit sich, die es schwer machen, warmherzige Beziehungen mit anderen zu pflegen. Seien wir uns also bewusst, dass es kaum unser Verdienst ist, wenn es in den nächsten Wochen nach feinen Weihnachts-Guezli duftet, dass wir kein Anrecht darauf haben, Geschenke zu erhalten, dass wir wirklich fröhliche Momente und warmherzige Beziehungen nur einladen, aber nicht erzwingen können. Und wenn nun in den nächsten Wochen doch so einiges an Schönem in unserem Leben passiert, mögen wir uns bewusst sein: Wir haben Glück!  

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