Sonntag, 7. Mai 2017

Zuhören



Der Begriff Zuhören braucht nicht definiert zu werden, wir wissen was es ist. Über das Zuhören muss folglich nicht weiter geforscht oder geschrieben werden. - Bevor Sie gleich wieder weghören, überlegen Sie bitte kurz mit mir, wo es denn Forschungsbedarf gibt:  Zum Thema Wertschöpfung und Kooperation vielleicht? Über virtuelle Teams und Führungskompetenzen? Oder über die Bindung von Schlüsselpersonen ans Unternehmen und Marktchancen von Produktinnovationen? Na gut, aber seien wir ehrlich: Wie gut funktioniert Teamarbeit, wenn wir einander nicht zuhören?

[Wir haben keine klare Vorstellung von Zuhören.]

Wie führungsstark ist der Chef, der geistig schon beim nächsten Traktandum ist statt „auf Empfang“? Wie wollen wir Schlüsselpersonen im Unternehmen behalten, wenn diese sich nicht gehört fühlen? Und wie wollen wir Marktchanen abschätzen, wenn die Stimmen der Kunden im Leeren verhallen?
Ich vermute, wir sind fast alle grottenschlechte Zuhörerinnen und Zuhörer. Wir könnten es besser, aber wir tun es nicht, denn Zuhören ist anstrengend und zeitraubend. Es braucht unsere Aufmerksamkeit, und die ist ja bekanntlich recht sprunghaft: Vom ewigen Multitasking ganz gibbelig rutscht sie vom aktuellen Gespräch zu einer  ärgerlichen E-Mail, springt zu den Ferienplänen, hangelt sich rückwärts zu einer vorher noch zu erledigenden Aufgabe, bis sie von einer irritierten Mimik unseres Gegenübers von dort weggerissen wird und uns mitten ins Gesicht klatsch. In dieser Zeitspanne haben wir natürlich nicht zugehört und weil es zu peinlich ist, fragt auch keiner nach. Wenn wir Vorgesetzte sind, wissen wir in solchen Situationen intuitiv, ob wir jetzt nachdenklich nicken oder tiefgründig lächeln sollten, sowas hat man einfach im Gespür. Und für diese Glanzleistung halten wir uns anschliessend selbst für sozial kompetent. Die wahre innere Ruhe und die Energie zum entschlossenen Zuhören, die sind uns vor langer Zeit abhandengekommen. Womöglich vermissen wir sie nicht einmal mehr.
Aber vielleicht haben wir auch bloss keine klare Vorstellung von Zuhören. Vielleicht wäre eine gute Theorie hilfreich, oder wenigstens eine erhellende Typologie. Der MIT-Professor Otto Scharmer hat während Jahren Führungskräfte befragt. Und er hat nicht nur diesen Führungskräften zugehört, nein, er hat auch sich selbst beobachtet beim Zuhören. Das war wohl eigentlich nicht seine Absicht, aber als neugieriger Forscher ist er gar nicht umhin gekommen, dies zu tun.  Aufgrund dieser Erfahrung schlägt er vor, folgende Arten des Zuhörens zu unterschieden:

  •  „Downloaden“: Sich die eigenen Denkmuster bestätigen lassen, unkritisch-höflich sein, Irritationen ausblenden.
  • Objektfokussiertes Zuhören oder «Debatte»: Unterschiede feststellen, den eigenen Standpunkt verteidigen,  in  vorhandenen Denkmustern denken.
  • Empathisches Zuhören oder «Dialog»: Die Emotion des Anderen in den Fokus nehmen; erkunden oder erahnen, wie die andere Person sich fühlt, neue Perspektiven einnehmen.
  • Generatives Zuhören oder «Presencing»: Als ganzer Mensch präsent sein, mit offenem Herzen und mit offenem Willen aufnehmen und die Möglichkeit akzeptieren, dass die Welt auch noch ganz anders sein könnte, als man es immer gedacht hat; ganz unabhängig davon, ob einem das gelegen kommt oder nicht.

Mich hat diese Typologie beeindruckt. Natürlich könnte man anmerken, dass das interessant, aber letztlich auch nicht wahnsinnig neu ist, aber solche Anmerkungen macht wohl am ehesten jemand, der mit „Download-Modus“ unterwegs ist. Wir können einwenden, dass diese Typologie kaum wissenschaftlichen Kriterien standhält, weil konkrete Verhaltensweisen nie eindeutig zugeordnet werden können, dann hätten wir wohl „objektfokussiert“ zugehört. Wir könnten uns fragen, was dieser Scharmer für ein Typ sein muss, wie viele Mühen er auf ich genommen hat und was ihm diese Typologie bedeutet - dann wären wir im empathischen Zuhör-Modus unterweg. Was mich umtreibt ist die Frage: Sind wir in der Lage generativ zuzuhören? Können wir tiefe Weisheit erkennen, wenn sie uns angeboten wird? Oder halten wir jeden ungeschliffenen Diamanten bloss für einen Kiesel? Aus der Wissenschaft gibt es zumindest deutliche Hinweise, dass wir diese vierte Art des Zuhörens lernen können. – Vielleicht nicht gerade so wie das Fahrradfahren, das man irgendwann einfach kann und sich danach interessanteren Dingen zuwendet, sondern eher so wie das Tanzen, das schrittchenweise immer gelenkiger und anstrengungsloser geht, aber immer weitere Lernmöglichkeiten bietet. - Was meinen Sie dazu? Ich gäb‘ etwas drum, wenn ich Ihnen jetzt zuhören könnte.  

-------------------------------------- Das subjektive Wirtschaftslexikon --------------------------------- 

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