Der Begriff Zuhören braucht nicht definiert zu werden, wir
wissen was es ist. Über das Zuhören muss folglich nicht weiter geforscht oder
geschrieben werden. - Bevor Sie gleich wieder weghören, überlegen Sie bitte
kurz mit mir, wo es denn Forschungsbedarf gibt:
Zum Thema Wertschöpfung und Kooperation vielleicht? Über virtuelle Teams
und Führungskompetenzen? Oder über die Bindung von Schlüsselpersonen ans Unternehmen
und Marktchancen von Produktinnovationen? Na gut, aber seien wir ehrlich: Wie
gut funktioniert Teamarbeit, wenn wir einander nicht zuhören?
[Wir haben keine klare Vorstellung von Zuhören.]
Wie führungsstark
ist der Chef, der geistig schon beim nächsten Traktandum ist statt „auf Empfang“?
Wie wollen wir Schlüsselpersonen im Unternehmen behalten, wenn diese sich nicht
gehört fühlen? Und wie wollen wir Marktchanen abschätzen, wenn die Stimmen der
Kunden im Leeren verhallen?
Ich vermute, wir sind fast alle grottenschlechte
Zuhörerinnen und Zuhörer. Wir könnten es besser, aber wir tun es nicht, denn Zuhören
ist anstrengend und zeitraubend. Es braucht unsere Aufmerksamkeit, und die ist
ja bekanntlich recht sprunghaft: Vom ewigen Multitasking ganz gibbelig rutscht
sie vom aktuellen Gespräch zu einer
ärgerlichen E-Mail, springt zu den Ferienplänen, hangelt sich rückwärts zu
einer vorher noch zu erledigenden Aufgabe, bis sie von einer irritierten Mimik
unseres Gegenübers von dort weggerissen wird und uns mitten ins Gesicht
klatsch. In dieser Zeitspanne haben wir natürlich nicht zugehört und weil es zu
peinlich ist, fragt auch keiner nach. Wenn wir Vorgesetzte sind, wissen wir in
solchen Situationen intuitiv, ob wir jetzt nachdenklich nicken oder tiefgründig
lächeln sollten, sowas hat man einfach im Gespür. Und für diese Glanzleistung halten
wir uns anschliessend selbst für sozial kompetent. Die wahre innere Ruhe und die
Energie zum entschlossenen Zuhören, die sind uns vor langer Zeit
abhandengekommen. Womöglich vermissen wir sie nicht einmal mehr.
Aber vielleicht haben wir auch bloss keine klare Vorstellung
von Zuhören. Vielleicht wäre eine gute Theorie hilfreich, oder wenigstens eine erhellende
Typologie. Der MIT-Professor Otto Scharmer hat während Jahren Führungskräfte
befragt. Und er hat nicht nur diesen Führungskräften zugehört, nein, er hat
auch sich selbst beobachtet beim Zuhören. Das war wohl eigentlich nicht seine
Absicht, aber als neugieriger Forscher ist er gar nicht umhin gekommen, dies zu
tun. Aufgrund dieser Erfahrung schlägt er
vor, folgende Arten des Zuhörens zu unterschieden:
- „Downloaden“: Sich die eigenen Denkmuster bestätigen lassen, unkritisch-höflich sein, Irritationen ausblenden.
- Objektfokussiertes Zuhören oder «Debatte»: Unterschiede feststellen, den eigenen Standpunkt verteidigen, in vorhandenen Denkmustern denken.
- Empathisches Zuhören oder «Dialog»: Die Emotion des Anderen in den Fokus nehmen; erkunden oder erahnen, wie die andere Person sich fühlt, neue Perspektiven einnehmen.
- Generatives Zuhören oder «Presencing»: Als ganzer Mensch präsent sein, mit offenem Herzen und mit offenem Willen aufnehmen und die Möglichkeit akzeptieren, dass die Welt auch noch ganz anders sein könnte, als man es immer gedacht hat; ganz unabhängig davon, ob einem das gelegen kommt oder nicht.
Mich hat diese Typologie beeindruckt. Natürlich könnte man anmerken,
dass das interessant, aber letztlich auch nicht wahnsinnig neu ist, aber solche
Anmerkungen macht wohl am ehesten jemand, der mit „Download-Modus“ unterwegs
ist. Wir können einwenden, dass diese Typologie kaum wissenschaftlichen
Kriterien standhält, weil konkrete Verhaltensweisen nie eindeutig zugeordnet
werden können, dann hätten wir wohl „objektfokussiert“ zugehört. Wir könnten
uns fragen, was dieser Scharmer für ein Typ sein muss, wie viele Mühen er auf
ich genommen hat und was ihm diese Typologie bedeutet - dann wären wir im
empathischen Zuhör-Modus unterweg. Was mich umtreibt ist die Frage: Sind wir in
der Lage generativ zuzuhören? Können wir tiefe Weisheit erkennen, wenn sie uns
angeboten wird? Oder halten wir jeden ungeschliffenen Diamanten bloss für einen
Kiesel? Aus der Wissenschaft gibt es zumindest deutliche Hinweise, dass wir
diese vierte Art des Zuhörens lernen können. – Vielleicht nicht gerade so wie
das Fahrradfahren, das man irgendwann einfach kann und sich danach
interessanteren Dingen zuwendet, sondern eher so wie das Tanzen, das
schrittchenweise immer gelenkiger und anstrengungsloser geht, aber immer
weitere Lernmöglichkeiten bietet. - Was meinen Sie dazu? Ich gäb‘ etwas drum,
wenn ich Ihnen jetzt zuhören könnte.
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