Montag, 12. Juni 2017

Aufmerksamkeit



Seien wir ehrlich: Wir alle wollen von anderen gesehen werden, wir alle bekommen zu wenig Aufmerksamkeit. Kinder wollen von den Eltern und den Lehrpersonen, Erwachsene von Ihren Vorgesetzten erkannt, respektiert und gelobt werden. Von der Lebenspartnern, vom Lebenspartner wollen wir Aufmerksamkeit: Da ist so viel Gutes, das wir tun und so wenig Wertschätzung dafür. Ein stückweit scheint diese Tragik normal zu sein, vielleicht ist das Zu-wenig-Aufmerksamkeit-Bekommen einfach menschlich. 

[Sind Männer selber schuld?]

Eine Untersuchung über Stellensuchende nach demStudium hat nun festgestellt, dass es für Frauen offenbar weniger wichtig ist, an der neuen Stelle die Aufmerksamkeit  des Top Managements zu erhalten als für Männer. Sie sorgen sich mehr als die Männer um flexible Arbeitszeiten und ob sie in die Unternehmenskultur passen. Bei Männern hingegen steht Aufmerksamkeit des Top-Managements weit oben auf der Wunschliste.
Hart an der Grenze zur politischen Unkorrektheit fragen Kommentatoren dieser Studie, ob man das nun so deuten müsse, dass Frauen an den weniger steilen Karieren „selber schuld“ seien. Das scheint zunächst eine berechtige Frage zu sein, aber wohl ist mir dabei nicht. – Wenn man die Aufmerksamkeit mit scheinbar harmlosen Fragen schon auf Tabu-Gebiete lenken will, dann hätte ich da noch einen anderen Vorschlag. Warum fragen wir nicht so: Sind die Frauen selber schuld, dass sie weniger Karriere machen, oder sind bestimmte psychische Erkrankungen bei Frauen einfach seltener? Ich meine, wann schlägt gesunder Ehrgeiz in eine Profilierungsneurose um? Ich bin da kein Experte, aber ich vermute, dass es kaum objektive Messgrössen gibt. Ein Psychiater würde wohl sagen, solange den Menschen dabei wohl ist, gäbe es kein Problem. Tatsächlich kommen wohl sehr wenige Männer in die Therapie wegen ihrer „Profilierungsneurose“. Und wenn, dann am ehesten wegen den Spätfolgen davon: Wegen Burnout oder Depressionen, weil ihnen die Lebenspartnerin weggelaufen ist, weil sie keinen Kontakt zu ihren Kindern haben und weil sie sich in ihrer Villa mit Motorboot und Doppelgarage, aber ohne Familie und wahre Freunde, etwas einsam fühlen. Meines Wissens sind das Dinge die Frauen viel seltener passieren.    Sind die Männer also „selber schuld“?
So, nachdem mit den Provokationen nun Gleichstand herrscht, können wir unsere Aufmerksamkeit auf die darunter liegenden Aspekte lenken. Da ist nämlich noch eine andere Studie, die folgendes zeigt: Wem Lohn besonders wichtig ist, der handelt im Durchschnitt einen höheren Lohn aus. Das ist soweit kaum überraschend. Nicht ganz völlig trivial ist hingegen die Feststellung, dass diese Leute zwar für den gleichen Job mehr Lohn erhalten, dass sie abermit ihrem höheren Lohn weniger zufrieden sind. Das gibt mir etwas zu denken. Könnte es sein, dass wir alle, auch die Frauen, in männlichen Kategorien denken? Vielleicht werden Frauen deshalb oft als Karriere-Verliererinnen gesehen und nicht als Lebens-Gewinnerinnen. Immerhin werden sie wesentlich älter als Männer und sie sind dabei mindestens ebenso glücklich und zufrieden mit Ihrem Leben. Das ist genauso Fakt.
Wäre es nicht spannend zu fragen, das denn die Männer falsch und die Frauen richtig machen? Ich vermute, es wäre lohnenswert, auf diese Frage mal die Aufmerksamkeit zu lenken.

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