Dienstag, 9. Mai 2023

Werbeimmunität


 

Am Tag nach dem das Wunder gesehen war und die Hälfte aller Menschen in unserem Land über Nacht «werbeimmun» geworden war, hat sich erstaunlich wenig geändert. Die Leute sind zur Arbeit gefahren, sie haben ihr Essen eingekauft, sich mit Freunden verabredet und auch sonst ein völlig normales Leben geführt. Werbefachleuten ist nichts aufgefallen. Selbst Verkaufschefs luxuriöser Uhren- und Automarken haben nichts gemerkt. Dies war einfach gerade kein umsatzstarker Tag. Auch den Menschen selbst, die über Nacht werbeimmun geworden sind, ist nicht viel aufgefallen. Sie hatten einfach gerade keine Lust, sich etwas Unnötiges zu kaufen.

Mit der Zeit kam es ihnen aber doch seltsam vor. Sie dachen immer wieder Dinge, die sie sonst nie dachten. Seltsame Dinge, wie: «Ich habe schon alles... Ich brauche nichts ... Ich bin mit mir selbst zufrieden... Ich habe Freunde und werde von ihnen akzeptiert, wie ich bin ... ich habe nicht das Gefühl, dass ich mehr sein sollte als ich bin ...  heute kaufe ich nur, was ich wirklich brauche.»

Freunde und Karriere waren ihnen nach wie vor wichtig. Aber auf einmal waren sie voller Vertrauen. Voller Vertrauen, dass sie gut genug sind. Voller Vertrauen, dass man ihre Qualitäten erkennen und sie befördern wird, wenn es angemessen ist. Und dass eine Beförderung vielleicht auch nicht das Richtige sein könne. Dass es eine tiefe Befriedigung gab, einfach ehrlich zu sein und damit aufzuhören, andere beeindrucken zu wollen.

Nach einer Woche merkten die Verkaufschefs, dass etwas nicht stimmte und nach einem Monat lagen desaströste Verkaufszahlen auf dem Tisch. Expert*innen rätselten vor laufender Kamera. Nach zwei Monaten kam es zu den ersten Entlassungen, eine Rezession stand vor der Tür. Aber die Hälfte der Bevölkerung machte sich keine Sorgen. Diese Menschen waren sicher, dass sie auch mit weniger Geld ein gutes Leben führen konnten. Sie waren überzeugt, dass sie nicht stigmatisiert würden, wenn sie ihren Job verlören, sondern dass der Freundeskreis gut zu ihnen hält und dass sie bald wieder eingestellt würden.

Als die Rezession dann kam, hüteten die Arbeitslosen die Kinder ihrer noch beschäftigten Freunde und kochten für sie das Essen. Die, die noch einen Job hatten, teilten ihre Einnahmen mit den Arbeitslosen und verzichteten auf teure Ferien im Ausland. Stattdessen verbrachte man Ferien in einem etwas dichter als normal besetzten Ferienhaus. Dort gab es vielleicht etwas mehr Reibereien, aber es machte auch viel mehr Spass. Die Lebenszufriedenheit der Menschen sank jedenfalls nicht, wie sie das sonst in Rezessionen tut.

Die andere Hälfte, die immer noch auf die leeren Versprechen der Werbung reagierte, hatte auf einmal weniger Publikum. Es gab weniger Leute, die beeindruckt waren von dicken Uhren und schicken Autos.  Manche freuten sich über die reduzierte Konkurrenz, aber die meisten waren verunsichert und fragten sich, was sie nun tun müssten, um bei ihren Freunden gut anzukommen. Manche meinten, sie sollen einfach so sein, wie sie sind, aber das konnten sie zunächst natürlich nicht glauben. Weil neidische Blicke immer öfter ausblieben, probierten sie es dann doch aus. Und den meisten gefiel es. Und wie das mit Rezessionen so ist, so ging auch diese Rezession vorbei.

So. Wie unschwer zu erkennen ist, ist der vorliegende Text eine Art Werbung für Werbeimmunität. Bleibt nur zu hoffen, dass Sie dagegen nicht vollkommen immun sind.

 

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