Donnerstag, 3. August 2017

Ungleichheit



Allgemein kümmert sich die Ökonomie wenig um die Verteilung von Einkommen oder Vermögen, es geht nur darum, dass die Menge produzierter Güter insgesamt möglichst gross ist. Das hängt mit der Definition von Effizienz zusammen und andererseits damit, dass die Volkswirtschaft ohne Verteilungsfragen schon kompliziert genug ist, da will man sich nicht mich Dingen beschäftigen, auf die es keine objektive Antwort gibt. Wenn der Blick dann doch auf die Verteilung gelenkt wir, dann ist die ökonomische Standard-Position ist diese:

 [Programmatische Überzeugung vs. empirische Evidenz]

Ungleichheit entsteht halt als Nebenprodukt des Produktionsprozesses. Man darf nicht meinen, dass man diese Ungleichheit künstlich reduzieren kann, ohne dass man auch Wirtschaftswachstum dafür opfert. Denn die wirtschaftliche Leistung liegt nicht einfach in einer Schatztruhe, aus der man sich bedienen kann,  sondern sie muss jährlich neu erwirtschaftet werden. Das ist ein heikler Prozess. Es stimmt zwar, die Reichen werden immer reicher. Aber die Armen werden eben genau nicht immer Ärmer, sondern auch sie werden ebenfalls reicher. Es ist nur so, dass dieser Prozess etwas langsamer geht. So entsteht die wachsende Ungleichheit. Aber da alle stets reicher werden, lasst bitte die Finger von Umverteilungsspielen, denn die können das allgemein wohltuende Wirtschaftswachstum gefährden. (René Scheu, NZZ 14.12.2014)

Was mich wundert, ist, dass diese ökonomische Position auch heute noch als vertretbar betrachtet wird, nachdem bis ins Detail nachgewiesen worden ist, dass Ungleichheit allen schadet. Und zwar heftig. So heftig, dass ein bisschen Wirtschaftswachstum, das man allenfalls zu opfern hätte, eben genau nicht ins Gewicht fällt.
Schon in den 80er Jahren machte ein origineller Ökonom mit einem einfachen Experiment auf die Sache aufmerksam. Er fragte Probanden: Würden Sie lieber ein Jahreseinkommen von 100‘000 haben und in einem Quartier leben, in dem alle anderen ebenfalls 100‘000 verdienen, oder aber ein Jahreseinkommen von 150‘000, in diesem Fall würden Sie aber in einem Quartier wohnen, in dem alle anderen 200‘000 verdienen. Viele zogen die erste Variante vor – etwas, das mit gängiger ökonomischer Theorie nicht zu erklären ist. Genau: Weil sie falsch ist. Im Jahr 2011 legte ein Forschungsduo eine umfassende Studie vor, welche zeigt, dass sich in den entwickelten Ländern praktisch alles, was wir in einer Gesellschaft wichtig finden nicht verbessert, wenn die Wirtschaft wächst, sich aber verschlechtert, wenn die Ungleichheit der Einkommen zunimmt. In akribischer Kleinarbeit belegen sie, dass mit zunehmender Ungleichheit unser Gefühl von Sicherheit abnimmt, ebenso die Wahrscheinlichkeit psychisch gesund zu bleiben, insbesondere nicht an Depressionen oder  Angststörungen zu leiden. Mit Ungleichheit nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass wir drogen- oder alkoholsüchtig zu werden, dass wir  ermordet werden,  und wenn nicht, dass wir im Gefängnis landen. Es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen im eigenen Land diskriminiert werden und dass es junge Menschen aus bildungsfernen Schichten nicht schaffen, sozial aufzusteigen. – Nach all diesen schockierenden Ergebnissen empfehlen die Forscher nicht, dass alle gleichviel verdienen sollen. Das sozialistisch-kommunistische Experiment ist bekanntlich gescheitert. Aber sie empfehlen, dass die Ungleichheit keinesfalls weiter wachsen sollte und in jenen Ländern auf ein erträgliches Mass zu reduzieren sei, wo sie bereits stark ausgeprägt ist.
2013 legt der Nobelpriesträger J. Stieglitz eine Studie vor, in der er nachweist, dass die Politik in den USA die Märkte so geformt hat, dass sie vor allem den Reichen dienen. Er findet das vor allem moralisch nicht in Ordnung, zeigt aber zusätzlich, dass dadurch Wirtschaftswachstum verloren geht. 2014 legt Picketty eine riesige, weltweite Analyse vor, die in der Ökonomenzunft weltweit Furore macht. Er schliesst aus seiner Untersuchung, dass es keine ökonomische Kraft gibt, die gegen die Vermögenskonzentration wirkt und dass folglich ohne politisches Eingreifen die Märkte dazu führen, dass die Reichen immer reicher werden. Und Ende 2014 war dann eben obiger Text in der NZZ zu lesen und auch dieser Tage werden vergleichbare Thesen lauthals vertreten.
Ich bin mir da nicht sicher, ob die empirische Evidenz gegenüber der programmatischen Überzeugung gleich behandelt wird. Ich vermute eher eine krasse Ungleichheit.

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