Samstag, 5. Dezember 2015

Geschenk



Fast jedes Jahr um die Weihnachtszeit findet sich irgendwo ein Artikel in der Zeitung, in der ein Ökonom uns die riesige Verschwendung durch Geschenke vorrechnet. Die Schlussfolgerung, die gezogen wird, ist jeweils die, dass man lieber Geld schenken soll. - Warum wird mir als Ökonom, bei diesem Gedanken nicht wirklich warm ums Herz?

[Manchmal geht es einfach darum, Freude und Dankbarkeit auszudrücken.]

Die ökonomische Argumentation  geht so: Hätte der Beschenkte das Geld erhalten, hätte er sich damit fast sicher etwas anderes gekauft, das ihm mehr Nutzen gestiftet, also mehr Freude bereitet hätte. Der Beschenkte wäre also mit Geld immer besser dran, ausser man hätte seinen Geschmack gerade getroffen, dann spielt es keine Rolle. Folglich wären wir als Gesellschaft besser dran, wenn wir einander Geld schenken würden. So. Und wie argumentiert man jetzt dagegen - aber nicht aus dem Bauch heraus, sondern bitte schön rational und ökonomisch? - Dieses Rätsel kommt mir vor wie eine jener Aufgaben, bei denen man Streichhölzer umlegen muss, um eine neue Form zu bilden: Ich weiss, dass es irgendwie geht, aber ich komm‘ einfach nicht drauf … oder einfach erst nach einer Weile des Umherprobierens, des Weglegens und des Nochmalversuchens.
Was mich an der Schenken-Sie-lieber-Geld-Story fasziniert, ist unter anderem, dass sich Ökonomen weitgehend einig sind, dass es gar keine Geschenke gibt: Es gibt nichts wirklich gratis im Leben. „There ain’t no such thing as a free lunch” oder „Opportunitätskosten“ heisst das im Fachjargon. Was als Geschenk daherkommt, hat immer auch ein Preisschild. Wenn ich eine Ferienreise nach Korfu geschenkt bekomme, muss ich dafür auf eine Ferienreise nach Südfrankreich verzichten, die ich sonst gemacht hätte. Zugegeben, diese ist weniger attraktiv, aber es ist eben doch ein Verzicht. Und von den Verpflichtungen haben wir jetzt noch gar nicht gesprochen, welche ich bei Geschenken zuweilen eingehe, indem ich sie annehme. Selbst dann, wenn ich eigentlich gar keine Chance hatte, sie auszuschlagen. Etwa die scheussliche Vase aufstellen zu müssen, jedes Mal wenn das betreffende Familienmitglied zu Besuch kommt. In diesem Spezialfall wäre man vielleicht tatsächlich besser dran gewesen mit Geld. - Zeigt das nicht einfach, dass Ökonomen nur ausnahmsweise recht haben, aber im Grunde vom Schenken nichts verstehen?
Der Punkt ist, aus ökonomischer Warte geht es immer um den Austausch von Gütern. Aber geht es im wirklichen Leben nicht auch manchmal darum, ehrliche Freude und Dankbarkeit auszudrücken? – Die empirischen Befunde sind klar: Es tut Menschen gut, wenn sie dankbar sind und wenn sie diese Dankbarkeit zeigen. Und es tut Menschen gut, wenn andere ihnen sagen oder zeigen: Ich mag Dich, Du bist mir wichtig. Es gibt sogar glaubwürdige Hinweise, dass Menschen, die besondere Wertschätzung erhalten, länger leben. Um es in die Sprache der Ökonomen zu übersetzen: Solche symbolische Handlungen haben einen ganz konkreten „Nutzen“. Und zwar auch dann, oder gerade weil man sie nicht kaufen kann. Unsere Gesellschaft wäre folglich wesentlich besser dran, wenn es mehr solche symbolische Handlungen gäbe. Wer klein anfangen möchte, kann das mit einem Lächeln tun, das kostet bekanntlich nichts. Da würden selbst die nüchternsten Ökonomen zustimmen. Aber die einseitige Betrachtung der Güterwelt, die einseitige „Erfolgsmessung“ mit Gewinn und Bruttosozialprodukt macht blind für Dinge, die wirklich zählen.
Wenn wir es also schaffen, trotz Sonderangeboten und Weihnachtsrummel mit einem Geschenk die eigentliche Mitteilung zu machen, eine frohe Botschaft zu überbringen … eine lebendige Botschaft; eine, die jung ist und gleichzeitig so alt wie die Menschheit: Schön dass es Dich gibt!  … das wäre dann wirklich ein Geschenk.
Fröhliche Weihnacht!

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  • Geldillusion -  ist in der Krise relevant
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  • Mittwoch, 4. November 2015

    Frauenquote



    Sollen wir Frauenquoten in Chefetagen einführen, ja oder nein? Die ökonomische, liberale Position ist natürlich nein, denn was wollen schon Politiker wissen, wer der beste Mann oder die beste Frau für einen Job ist, das wissen doch nur die Herren, die das im Einzelfall entscheiden. Ja, und im Einzelfall ist dann einer von diesen Herren, die das entscheiden, grad selbst eine Frau.

    [HR-Abteilungen können sofort damit anfangen.]

    Die feministische Position, wenn ich sie gut verstanden habe, ist weniger klar. Einerseits wären Quoten gut, sehr wichtig sogar, aber andererseits degradieren sie die Frau offiziell zum Mängelwesen und zementieren damit das vorherrschende Menschen- resp. Frauenbild. Dass eine unappetitliche Inkompetenzzuschreibung nach wie vor existiert, wurde gerade eben wieder nachgewiesen: In einem online Kurs waren die betreuenden Professor/innen nie körperlich zu sehen. Einigen Studierenden gegenüber gab sich das Betreuungsteam immer als eine männliche Person aus, anderen gegenüber als Frau. Wer meinte, von einer Frau betreut worden zu sein, war mit dem Kurs deutlich weniger zufrieden. Wie also nun: Für oder gegen Quoten?
    Völlig unklar ist mir, ob ich als Mann eigentlich überhaupt eine Meinung zur Frauenquote haben darf oder ob ich mich a priori in die Nesseln setze. Ich erlaube mir, eine Meinung zu haben und sie auch zu äussern, weil ich als kinder-mit-erziehender Mensch nach altem Denkmuster eigentlich schon fast ein wenig „frau“ bin. Wohl wäre es übertreiben, mich dann als Frau mitzuzählen, wenn ich in einer Geschäftsleitung Einsitz nähme. Aber ich finde es merkwürdig, dass man von Frauen, die Kinder haben, erwartet, dass sie sich persönlich um diese kümmern -  und zwar nicht nur kurz vor dem Insbettgehen und am Wochenende - während umgekehrt von Männern erwartet wird, dass sie beim zeitlichen Engagement für die Kindererziehung Zurückhaltung üben, wenn als Alternative ein Geschäftsleitungsjob ruft.   
    Lässt sich das Dilemma mit mutigen Frauen lösen? Nicole Althaus etwa, schreibt von sich in der NZZ: Ich bin eine Quotenfrau. Das ist mutig und das macht Mut, aber was jetzt fehlt ist die Aussage von ein paar prominenten Wirtschaftsführern: Ich bin ein Seilschafts-Mann. Oder ein Grosse-Klappe-Mann. Oder: Ich bin gar nicht der, der sich am besten für den Job eignet, sondern unter denen, die sich einigermassen eigneten, war ich der, der die meisten anderen VR- Mitglieder bereits gekannt hatte. Das wäre in nicht wenigen Fällen wohl ehrlich. Und mutig. Nur: Auf solche Aussagen werden wir wohl lange warten.
    Wir sollten also nach anderen Ansätzen Ausschau halten. Und siehe da: In einer höchst spannenden Studie erweist sich eine Idee als wirksam, die erst noch politisch korrekt und praktikabel ist. Es ist folgende Spielregel bei der Stellenbesetzung: Im Personenkreis derer, die in die engere Auswahl kommen, muss der Frauenanteil zwingend 50% sein, die Wahl ist danach frei. Eine Frauen-Vorauswahl-Quote also. Die Wirkung: Unter den tatsächlich Gewählten ist der Frauenanteil ähnlich hoch, ohne dass irgendein Zwang ausgeübt wird. Mir wurde ein Beispiel zugetragen, wo ein Personalentwickler (ja, es ist ein Mann) in einer grösseren Organisation in Bern dafür sorgt, dass es bei den Kandidierenden für das Talent-Programm immer gleich viele Frauen wie Männer hat. Dies, obwohl „gelebte Gleichstellung“ nicht wirklich als besondere Stärke der Organisation gelten kann. Und seine Erfahrung entspricht dem Forschungsresultat: Unter den Aufgenommenen ins Förder-Programm ist der Frauenanteil fast 50% ist. Was dazu nötig ist, sind viele Gespräche mit Frauen: Passe ich dazu? Ist das für mich? Kann ich das? Passt das in meinen Lebensentwurf? – Diese Fragen stellen sich Frauen offenbar öfter als Männer. Die Basisarbeit, die geleistet werden muss, damit die Frauenquote bereits unter den Kandidierenden stimmt, ist nicht zu unterschätzen: Geeignete Frauen müssen als solche erkannt, direkt angesprochen, individuell eingeladen und persönlich ermutigt werden. – Und warum ist so viel Aufwand für Frauen nötig, fragt der ach-so-liberale-Mann? - Weil Frauen in unserer Gesellschaft systematisch entmutigt werden, da darf man sie schon ein wenig aufbauen. Eine OECD-Auswertung von PISA-Daten zeigt beispielsweise, dass junge Frauen in Mathematik gleich gut abschneiden würden wie junge Männer, wenn sie gleich selbstsicher bezüglich Mathe wären. Wenn man die Mädels und Jungs nämlich zuerst in verschiedene Kategorien von gleichem Mathe-Selbstbewusstsein einteilt und dann ihre Leistungen vergleicht, verschwinden die Geschlechterunterschiede. Interventionsstudien zeigen, dass diese Schlussfolgerung auch praktikabel ist.
    Natürlich wäre es jetzt wunderbar, wenn mutige Topkader und mutige Politikerinnen und Politiker diese Idee aufgreifen würden. Aber das Beste an der Frauen-Vorauswahl-Quote ist, dass wir auf solcherlei nicht warten müssen: Viele HR-Abteilungen können einfach heute damit anfangen, wie der erwähnte Personalentwickler, ohne jemanden zu fragen, die Frauenquote sozusagen durch die Hintertür einzuführen. Ganz legal, versteht sich. Ein Satz zur Gleichstellung in irgendeinem Strategiepapier als Legitimation findet sich ja immer.

     (Nachtrag: Hier ist ein Artikel der HBR von 2016, der die These dieser Kolumne stützt.)
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    Weitere Posts:

    Freitag, 2. Oktober 2015

    50+


    50+ (oder auch Ü50) ist eine politisch korrekte Formulierung für das politisch extrem unkorrekte „alt“. Ich darf das so direkt formulieren, ich bin bald 52. Bekanntlich hat es schwer hat auf dem Arbeitsmarkt, wer 50+ ist. Darum müsste der Titel dieses Textes eigentlich anders lauten, nämlich „Altersdiskriminierung“, aber ich wollte nicht unterschwellig vorwurfsvoll einsteigen.

    [75% der Unternehmen erhielten gar keine 50+- Bewerbungen.]

    Die spannende Frage ist:  Warum werden etwas ältere, qualifizierte Mitarbeitende nicht eingestellt – trotz Fachkräftemangel? Marketing- oder IT-Spezialisten werden gesucht wie wild. Firmen geben jede Menge Geld aus, um solche Fachkräfte zu finden und zu halten. Heftig wird in die Infrastruktur investiert, die ein flexibles, entspanntes Arbeiten ermöglichen soll. Wellness-Center-ähnliche Zustände breiten sich aus. Mitarbeiter-Duschen, Hängematten und Coffee-Lounges werden langsam selbstverständlich. So rüsten die Firmen auf im „War for Talents“. All das kostet sehr viel Geld und trotzdem leistet es sich die Schweizer Wirtschaft, viele hochqualifizierte, hochgesuchte Fachkräfte in der Arbeitslosigkeit zu belassen, eben die ab 50. Wie passt das zusammen?

    Auf diese Frage gibt es drei Standardantworten. Die erste ist, dass man es den Ü50-ern nicht mehr zutraut, viel zu leisten, weil sie alt, ergo leistungsschwach oder zumindest weniger belastbar sind. Mag sein, dass diese Vorstellung verbreitet ist, aber sie ist längst wissenschaftlich widerlegt, jedenfalls für Kopfarbeiter. Die zweite Standardantwort ist das lauthals geforderte Verbot von Stellenanzeigen mit Altersangaben. Dieser Ansatz zeigt zwar in die richtige Richtung, dürfte aber weitgehend wirkungslos sein. Und drittens ist da noch das Argument, dass sie zu teuer seien. Menschen, die ein Jahr lang arbeitslos waren, sind was Lohnforderungen anbelangt aber erfahrungsgemäss recht flexibel. Insgesamt sind die Standard-Geschichten also nur mässig überzeugend.

    Was mich irritiert ist, dass es kaum Studien gibt, die nach bessern Erklärungen suchen. Eine der wenigen, die es versucht, ist aber umso spannender: In Deutschland hatten 75% der untersuchten Unternehmen gar keine Bewerbungen von Ü50ern vorliegen. Keine einzige. Die Unternehmen, welche Ü50-Bewerbungen erhielten, gingen sehr unterschiedlich damit um: Nur die Hälfte davon stellte tatsächlich ü50er ein.  Das sind Befunde, über die sich mehr als fünf Sekunden nachzudenken lohnt! Nach meinem Kenntnisstand weiss zwar heute niemand genau, wo das Problem liegt, aber es gibt einige Verdachts­momente:

    • Schlechtes Selbstmarketing: Viele ältere Personen sind zu bescheiden, sie sind als „zu alte“ unterschwellig irgendwie  schuldbewusst und erkennen den Mehrwert nicht, den sie bieten können oder es  gelingt ihnen einfach nicht, nach hundert Absagen noch selbstsicher aufzutreten. Zumindest zeigt ein Programm in Australien deutliche Erfolge, das sich an der Logik der „Positiven Psychologie“ orientiert und Arbeitslose systematisch ihre eigenen Stärken entdecken lässt und sie mental stärkt, statt sie mit guten Ratschlägen einzudecken.
    • Angst vor Ansprüchen: Junge Vorgesetzte befürchten vielleicht, dass sich Ältere nichts von ihnen sagen lassen, kurz nach der Einstellung neue Lohnforderungen stellen und obendrein womöglich auch eher Ambitionen auf den eigenen Chefsessel haben.
    • Kurzfristiger Fokus: Branchenkenntnisse werden von Vorgesetzten überbewertet, weil der neue Mann, die neue Frau unbedingt sofort einsetzbar sein sollte. Nicht dass dies bei einer durchschnittlichen Verweildauer von weit über 10 Jahren für das Unternehmen eine Rolle spielen würde, aber für die betreffende Führungskraft ist Risiko- und Aufwandminimierung vielleicht ziemlich vernünftig. Dass es auch sehr wohltuend sein kann, wenn jemand Berufserfahrung in einer anderen Branche hat und dass man sich auch rasch einarbeiten kann, dafür gibt es ja wenige Garantien. Möglicherweise können auch nur Vorgesetzte die Vorteile eines Branchenwechsels schätzen, die selbst einen Branchenwechsel vollzogen haben.
    • Zweifel an der Pendlermotivation: Vorgesetzte, die einmal die Erfahrung gemacht haben, dass sie eine weit weg wohnende Person eingestellt haben, die dann ein Jahr später wieder kündigte, werden im Bewerbungsgespräch kaum zu überzeugen sein. Natürlich sollte man bei dieser Ausgangslage gar nicht erst eingeladen werden, aber hier sind Vorgesetzte vielleicht nicht immer ganz ehrlich mit sich selbst.

    Wo ist das Forschungsprogramm, das diese – und vielleicht noch bessere - Hypothesen testet? Ein paar Forscher müsste es doch geben, die dafür zu begeistern wären. Denn soviel ist klar: Inserate mit Altersangaben zu eliminieren ist schön, aber die Alterslimiten in den Köpfen sind das wirkliche Problem. – Bitte sagen Sie mir jetzt nicht, wir müssten einfach auf eine junge, dynamische U40 Professorin warten, die mit ihren U25 Studierenden eine substantielle Studie vorlegt. Sonst haben wir echt ein Problem.

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    Freitag, 4. September 2015

    Individualismus



    Individualismus ist ein Gedanken- und Wertsystem, bei dem das Individuum im Zentrum steht. In der Ökonomie wird der Begriff „Individualismus“ meist mit dem etwas sperrigen Wort „methodologisch“ zum „methodologischen Individualismus“ ergänzt. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich nicht etwa um ein Wertsystem handelt, sondern nur um ein wertneutrales Gedankensystem, das Ökonomen hilft, die Welt zu verstehen.

    [Ist es egoistisch, anderen Freude zu bereiten?] 


    Wenn also beispielsweise die Preise für Erdöl steigen, müsste eine akzeptable Erklärung in der Reaktion von Individuen auf veränderte Rahmenbedingungen zu suchen sein, nicht in der Gesellschaft an sich. Die Perspektive einer fiktiven, durchschnittlichen Einzelperson einzunehmen wird zur „Methode“ erhoben. Diese fiktive Person wird generell von Ökonomen als eigennützig und nicht dumm angesehen. Eigennützig, indem sie lieber günstig einkauft als teuer, nicht dumm, indem sie merkt, wenn sich Preise verändern und darauf reagiert. Das scheint alles vernünftig und harmlos, ist es aber nicht. Denn in dieser Modellwelt kommt nicht vor, dass Menschen gerne kooperieren, dass sie gerne helfen, dass sie mitfühlen und gerne Dinge aus eigenem Antrieb tun. Sie reagieren nur auf veränderte Preise, fertig. Wer sich täglich in einer solchen Modellwelt bewegt, muss den Eindruck bekommen, all die anderen Dinge seien tatsächlich nicht wichtig – dabei sind sie sehr wichtig. Aber es ist einfach bequemer, sie zu ignorieren, weil sonst das ganze schöne ökonomische Gedankengebäude ins Wanken geraten könnte.

    In der Glücksforschung wurde zweifelsfrei belegt, dass Menschen gerne anderen Menschen Freude bereiten. Und dass es ihnen erst noch selbst gut tut. Ha! ruft der Ökonom, es ist also völlig egoistisch, anderen Freude zu bereiten. Da irrt er sich gewaltig. Wie jeder lebenserfahrene Mensch weiss, ist es nicht das Selbe, ob ich selbstlos helfe oder um des Lohnes willen. Die Geschichte von Frau Holle mit den Figuren der hilfsbereiten, engagierten Goldmarie und der egoistischen, faulen Pechmarie macht dies seit Generationen auch Kindern verständlich.
    Die Positive Psychologie bestätigt dies. Glück hat viel mit helfen zu tun und viel mit Gemeinschaft. Dies zeigt sich etwa darin, dass Gefühle viel weniger privat sind, als wir gemeinhin denken, dabei wüssten wir längst, dass Gefühle sehr ansteckend sind: Wer angelächelt wird, lächelt mit hoher Wahrscheinlichkeit zurück. Und in einer Runde gut gelaunter Menschen ist es schwierig, lange den Kopf hängen zu lassen. Probieren Sie’s aus. Schauen Sie sich Gesichter von lächelnden Menschen  an. Grüssen Sie die Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz mal einen Morgen lang ausnehmend fröhlich. Es geht übrigens auch mit negativen Emotionen, auch wenn das Forcieren dort weniger empfehlenswert ist. Diese Verbundenheit der Menschen miteinander hat ganz handfeste Auswirkungen: Menschen, die mehr Leute in Ihrer Nachbarschaft kennen, geben im Durchschnitt eine höhere allgemeine Lebenszufriedenheit zu Protokoll. Und obendrein leben sie dann länger. Sollte uns das in unserer individualistischen Gesellschaft nicht zu denken geben? – Weiter wurde festgestellt, dass sich Menschen für eine Belohnung mehr anstrengen, wenn diese Belohnung dem eigenen Arbeitsteam zugutekommt als wenn die Belohnung für sie persönlich gedacht ist. – Wer jetzt ungläubig den Kopf schüttelt, dem sei gesagt, dass es sich nicht um irgendeine Online-Befragung eines Modemagazins handelt, sondern um mehrere seriöse Studien angesehener Universitäten. Und: Ja, das steht in ziemlichem Kontrast zu den Anreizsystemen der meisten grossen Firmen, vor allem von Banken und Versicherungen.
    All diese Beobachtungen und Überlegungen sollen nicht bedeuten, Individualismus und  Selbstverwirklichung seien etwas Schlechtes. Das Gegenteil ist der Fall. Sich Ziele setzen und danach streben ist ein genauso starkes und berechtigtes Grundbedürfnis wie jenes nach Gemeinschaft und gegenseitiger Unterstützung. Es muss also um die ausgewogene Verbindung von individuellen und sozialen Bedürfnissen gehen. Erst die einseitige Betonung des Individualismus auf Kosten des Gemeinsinns ist gefährlich.

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    • Neid - ist eine Triebfeder der Wirtschaft mit Nebenwirkungen
    • Achtsamkeit - wird in keinem Wirtschaftslexikon definiert, sollte aber
    • Neoliberalismus - stellt nur vordergründig eine wissenschaftliche Bewegung dar

    Montag, 3. August 2015

    Glücksstatistik

    Eine Glücksstatistik zu veröffentlichen ist eine sehr wirksame Art, sich als Statistiker öffentlich lächerlich zu machen - und die gesamte Glückforschung dazu. Wenn Sie bloss publizieren, dass die Schweizer die weltweit Glücklichsten sind, dann funktioniert das allerdings nicht so gut. Aber fragen Sie einfach Personen im ganzen Land, wie zufrieden sie mit ihrem Leben sind.

    [Wie kommen Menschen dazu, sich weniger zu ärgern?] 

    Sie können einfach so fragen, oder die gut validierten fünf Fragen von Ed Diener verwenden oder auch den ausgefeilten Oxford Happiness Fragebogen mit 24 Fragen. Das spielt keine Rolle. Entscheidend sind zwei andere Dinge. Erstens sollten Sie genügend Personen befragen, so etwa tausend wären gut. Das gibt einen wirklich seriösen Anstrich und danach können Sie verschiedenste Untergliederungen machen: Männer vs. Frauen, Zentralschweizer gegen Ostschweizer, Verheiratete vs. unverheiratete, Junge versus Alte. Wenn Sie das schön säuberlich gemacht haben, dann sind Sie schon fast fertig. Jetzt brauchen Sie zweitens nur noch ein paar Hypothesen. Sollten Sie diese versehentlich weglassen oder aus übertriebener wissenschaftlicher Zurückhaltung viel zu vage formulieren, helfen Ihnen Journalisten gerne nach. Sie sind ausgebildet darin, die Dinge zuzuspitzen.


    Danach können wir in geneigten Gazetten und Blogs Ratschläge wie die folgenden lesen, die alle anscheinend wissenschaftlich fundiert, verbrieft und unwiderlegbar bewiesen sind:


    • Tipp 1: Bleiben Sie bei Ihrer Nationalität, sofern Sie bereits Schweizer oder Schweizerin sind.  - Wie nützlich ist das denn? Wer hatte vor, seine Schweizer Nationalität aufzugeben? Auswanderer vielleicht, aber Ausgewanderte wurden gar nicht befragt.
    • Tipp 2: Lassen Sie sich nicht scheiden. - Danke für den Tipp, das hatte ich auch nicht vor. Aber bei Paaren, die sich ständig streiten oder sich nichts mehr zu sagen haben, und nur solche stehen zur Debatte, bleiben berechtigte Zweifel, ob dieser Rat ein guter ist.
    • Tipp 3: Wohnen Sie in der Innerschweiz. - Ich weiss nicht, ob ich mit meinem Dialekt dort willkommen bin und wie sehr der überlange Arbeitsweg dann negativ ins Gewicht fällt. Und überhaupt, könnte es nicht sein, dass es leicht deprimierend ist, als Normalo unter den Allerglücklichsten zu leben? 
    • Tipp 4: Bilden Sie sich. - Endlich etwas Vernünftiges! Aber bringt dieser Ansatz etwas, wenn man bereits Professor ist? Schliesslich ist Bildung anstrengend und mitunter recht kostspielig. 
    • Tipp 5: Bleiben Sie ewig 16 oder, falls schon zu spät, werden Sie möglichst rasch 65. - Bei mir ist es eher schon spät, also gut, ich beeile mich… und was mache ich in der Zwischenzeit? 
    • Tipp 6: Werden Sie reich. - Alles klar. Ich nehme an, wir alle wissen ja, wie das Reichwerden geht. Im Kleingedruckten wäre dann noch nachzulesen, dass man es auf eine Art tun sollte, die einen nicht allzu sehr an die Nieren geht, denn der Effekt ist im Vergleich zum Aufwand leider sehr bescheiden.


    Man muss nicht studiert haben um zu erkennen, dass die Ratschläge bestenfalls einen Schmunzler wert sind. Der Vorteil einer höheren Bildung liegt lediglich darin, dass wir nicht einfach sagen, „das ist Schrott“, sondern präzise festhalten können „auf Basis von soliden Daten sind unzulässige Schlüsse gezogen worden“. Aber ob uns das glücklicher macht?


    Nachdem Sie sich selbst und die Glücksforschung nun öffentlich blamiert haben, können Sie sich Wilhelm Busch’s Diktum zu Herzen nehmen: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt’s sich gänzlich ungeniert.“ Das wäre dann schon eher angewandte Glückforschung. Aber auch hier stellt sich die Frage: Nützt Ihnen der wissenschaftliche Beweis etwas, dass Menschen lebenszufriedener sind, die in negativen Ereignissen auch gute Aspekte erkennen? – Wenn Sie sich grün und blau ärgern, sind Sie für schlaue Tipps kaum zu haben, und wenn Sie es ohnehin schon gelassen nehmen, brauchen Sie den Tipp nicht. Eine wirklich entschiedene Frage zum Beispiel ist die: Wie kommen Menschen dazu, sich weniger zu ärgern? Und zwar weniger oft, weniger lang und weniger intensiv. Interessanterweise hat die Glückforschung darauf bereits recht taugliche Antworten gefunden. Nur stehen sie meist nicht in Magazinen, Blogs oder Zeitungen. Und schon gar nicht unter dem Titel Glücksstatistik.
    --- 


    P.S.: Sogenannte „Positive Interventionen“ helfen, und besonders nachhaltig wirkt das Meditieren; letzteres kann man in Abendkursen in 8 Wochen seriös lernen. Wer mehr wissen will googelt „Lyubomirsky“ respektive „MBSR“.

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    • Anreiz - die Theorie dazu stimmt leider nicht
    • Achtsamkeit - wird in keinem Wirtschaftslexikon definiert, sollte aber
    • Ehrgeiz - eine wichtige Triebfeder der Wirtschaft mit Nebenwirkungen

    Mittwoch, 3. Juni 2015

    Ehrgeiz


    Ehrgeiz scheint eine fundamentale, kaum zu überschätzende Zutat zu einer funktionierenden Wirtschaft zu sein. Was wäre ein Wettbewerb ohne ehrgeizige Teilnehmende? Man stelle sich Federer gegen Nadal vor, und keiner will gewinnen. – Ist damit alles gesagt? Keineswegs.
    [Ehrgeizige erhalten zwar durchschnittlich mehr Lohn, aber zu welchem Preis...?] 

    Ehrgeiz bezeichnet zunächst das Verlangen danach, im Vergleich mit anderen gut abzuschneiden. Während Jahrhunderten haben sich Philosophen und Pädagogen über mangelnden Ehrgeiz der Jugend beklagt und erfanden die Unterscheidung zwischen „gesundem“ und „falschem“ Ehrgeiz. Leider ohne die Trennlinie auch nur halbwegs scharf zu ziehen. Aber sie haben die Verantwortung für den Ehrgeiz heimlich dem Individuum zugeschoben, obwohl es sich eigentlich um ein soziales Phänomen handelt: Robinson konnte auf seiner Insel schlicht nicht ehrgeizig sein – zumindest nicht, bis Freitag eintraf.

    Ökonomen haben sich der Frage anders genähert. Unter welchen Rahmenbedingungen führt Ehrgeiz zu guten gesellschaftlichen Resultaten? – Die kurze Antwort lautet: Wenn fairer Wettbewerb herrscht. Dummerweise lässt sich fairer Wettbewerb nicht so leicht  verordnen. Dazu sollte etwa die Leistung beurteilbar sein oder unfaires Verhalten sollte sich nicht lohnen. Solcherlei mag im Sport, vielleicht im Tennis zutreffen. Mich befallen aber bereits leise Zweifel, wenn ich Fussballer laufend beim eigentlich verbotenen Leibchenzerren sehe (und von der FIFA wollen wir nicht reden). In der Wirtschaft haben wir das Geld als Leitungsmassstab. Das scheint zunächst sinnvoll, denn Studien belegen sowohl, dass weltweit reichere Gesellschaften etwas glücklicher sind als ärmere, als auch, dass reichere Menschen etwas glücklicher sind als ärmere. Dumm ist nur, dass der Effekt bescheiden ist, sobald wir ein gewisses Grundeinkommen überschreiten. Und äusserst dumm ist zusätzlich, dass der wirtschaftliche Wettbewerb nicht funktioniert, ohne dass es Gewinner und Verlierer gibt, denn in der Folge entstehen Einkommensunterschiede. Im Zusammenhang mit diesen Einkommensunterschieden bewirkt der Wettbewerb ein paar unscheinbare, aber sehr hinterhältige Nebeneffekte. Da wäre einmal die Angst vor dem Versagen, der Dauerstress, sich bewähren zu müssen. Diese Angst führt nachweislich zu Herzkreislaufbeschwerden und Übergewicht. Und dies nicht nur bei den Armen, sondern auch bei den Reichen. Das Bruttosozialprodukt wird zwar gesteigert, aber nicht das Wohlergehen der Menschen, sobald man dieses Wohlergehen etwas umfassender definiert als die Dicke des Geldbeutels.

    Und dann ist da noch ein weiterer, böser Nebeneffekt: Mit zunehmenden Einkommensunterschieden verfestigt sich der Glaube daran, dass diese Unterschiede eine unabänderliche Tatsache seien. Dass es Verlierer gibt, wird zur Selbstverständlichkeit. Mit der daraus folgenden, unsolidarischen Lebenseinstellung wird eine Haltung gefördert, die unsere Hemmungen abbaut, andere zu diskriminieren, etwa Ausländer, Frauen, Arme. Und wo uns das Herren-Denken hinführt, wissen wir ja. In westlichen Gesellschaften gilt nachweislich der Zusammenhang: Je grösser die Einkommensunterschiede desto schlechter die gesellschaftliche Stellung der Frau. Vieles spricht insgesamt dafür, dass Wettbewerb in entwickelten Gesellschaften vor allem einen empirisch gesehen „ungesunden“ Ehrgeiz fördert.

    All das hält uns nicht vom Ehrgeiz ab. Kein Wunder, denn Ehrgeizige werden belohnt: Sie erhalten für die gleiche Stelle mehr Lohn. Bevor Sie jetzt aber zu Ihrem Chef gehen und eine Lohnerhöhung verlangen, sollten Sie folgendes bedenken: Ehrgeizige erhalten zwar mehr Lohn, aber sie sind auch weniger zufrieden damit. Sollten Sie also wieder einmal der Ehrgeiz packen, geben Sie dem Gefühl nur dann nach, wenn Sie sonst eine recht antriebslose Persönlichkeit sind. Sollten Sie bereits ziemlich ambitioniert sein, setzen Sie sich in einen bequemen Sessel oder gehen Sie ins Theater, in ein Konzert oder ins Museum und warten Sie, bis der Anfall vorbei ist. Sie tun sich selbst und unserer Gesellschaft einen Gefallen. Vielen Dank.

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    Das subjektive Wirtschaftslexikon
    von Alexander W. Hunziker
    • Neid - eine wichtige Triebfeder der Wirtschaft
    • Anreiz - die Theorie dazu stimmt leider nicht
    • Achtsamkeit - wird in keinem Wirtschaftslexikon definiert, sollte aber

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