Ehrgeiz scheint eine fundamentale, kaum zu überschätzende
Zutat zu einer funktionierenden Wirtschaft zu sein. Was wäre ein Wettbewerb
ohne ehrgeizige Teilnehmende? Man stelle sich Federer gegen Nadal vor, und
keiner will gewinnen. – Ist damit alles gesagt? Keineswegs.
[Ehrgeizige erhalten zwar durchschnittlich mehr Lohn, aber zu welchem Preis...?]
Ehrgeiz bezeichnet zunächst das Verlangen danach, im
Vergleich mit anderen gut abzuschneiden. Während Jahrhunderten haben sich Philosophen
und Pädagogen über mangelnden Ehrgeiz der Jugend beklagt und erfanden die
Unterscheidung zwischen „gesundem“ und „falschem“ Ehrgeiz. Leider ohne die
Trennlinie auch nur halbwegs scharf zu ziehen. Aber sie haben die Verantwortung
für den Ehrgeiz heimlich dem Individuum zugeschoben, obwohl es sich eigentlich
um ein soziales Phänomen handelt: Robinson konnte auf seiner Insel schlicht nicht
ehrgeizig sein – zumindest nicht, bis Freitag eintraf.
Ökonomen haben sich der Frage anders genähert. Unter welchen
Rahmenbedingungen führt Ehrgeiz zu guten gesellschaftlichen Resultaten? – Die
kurze Antwort lautet: Wenn fairer Wettbewerb herrscht. Dummerweise lässt sich
fairer Wettbewerb nicht so leicht verordnen. Dazu sollte etwa die Leistung
beurteilbar sein oder unfaires Verhalten sollte sich nicht lohnen. Solcherlei
mag im Sport, vielleicht im Tennis zutreffen. Mich befallen aber bereits leise
Zweifel, wenn ich Fussballer laufend beim eigentlich verbotenen Leibchenzerren sehe (und von der FIFA wollen wir nicht reden).
In der Wirtschaft haben wir das Geld als Leitungsmassstab. Das scheint zunächst
sinnvoll, denn Studien belegen sowohl, dass weltweit reichere Gesellschaften etwas
glücklicher sind als ärmere, als auch, dass reichere Menschen etwas glücklicher
sind als ärmere. Dumm ist nur, dass der Effekt bescheiden ist, sobald wir ein
gewisses Grundeinkommen überschreiten. Und äusserst dumm ist zusätzlich, dass der
wirtschaftliche Wettbewerb nicht funktioniert, ohne dass es Gewinner und
Verlierer gibt, denn in der Folge entstehen Einkommensunterschiede. Im
Zusammenhang mit diesen Einkommensunterschieden bewirkt der Wettbewerb ein paar unscheinbare, aber sehr hinterhältige Nebeneffekte. Da wäre einmal die Angst
vor dem Versagen, der Dauerstress, sich bewähren zu müssen. Diese Angst führt nachweislich
zu Herzkreislaufbeschwerden und Übergewicht. Und dies nicht nur bei den Armen,
sondern auch bei den Reichen. Das Bruttosozialprodukt wird zwar gesteigert,
aber nicht das Wohlergehen der Menschen, sobald man dieses Wohlergehen etwas
umfassender definiert als die Dicke des Geldbeutels.
Und dann ist da noch ein weiterer, böser Nebeneffekt: Mit
zunehmenden Einkommensunterschieden verfestigt sich der Glaube daran, dass diese
Unterschiede eine unabänderliche Tatsache seien. Dass es Verlierer gibt, wird zur
Selbstverständlichkeit. Mit der daraus folgenden, unsolidarischen
Lebenseinstellung wird eine Haltung gefördert, die unsere Hemmungen abbaut,
andere zu diskriminieren, etwa Ausländer, Frauen, Arme. Und wo uns das
Herren-Denken hinführt, wissen wir ja. In westlichen Gesellschaften gilt
nachweislich der Zusammenhang: Je grösser die Einkommensunterschiede desto
schlechter die gesellschaftliche Stellung der Frau. Vieles spricht insgesamt
dafür, dass Wettbewerb in entwickelten Gesellschaften vor allem einen empirisch
gesehen „ungesunden“ Ehrgeiz fördert.
All das hält uns nicht vom Ehrgeiz ab. Kein Wunder, denn Ehrgeizige werden belohnt: Sie erhalten für die gleiche Stelle mehr Lohn. Bevor Sie jetzt aber zu Ihrem Chef gehen und eine Lohnerhöhung verlangen, sollten Sie folgendes bedenken: Ehrgeizige erhalten zwar mehr Lohn, aber sie sind auch weniger zufrieden damit. Sollten Sie also wieder einmal der Ehrgeiz packen, geben Sie dem Gefühl nur dann nach, wenn Sie sonst eine recht antriebslose Persönlichkeit sind. Sollten Sie bereits ziemlich ambitioniert sein, setzen Sie sich in einen bequemen Sessel oder gehen Sie ins Theater, in ein Konzert oder ins Museum und warten Sie, bis der Anfall vorbei ist. Sie tun sich selbst und unserer Gesellschaft einen Gefallen. Vielen Dank.
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Das subjektive Wirtschaftslexikon
von Alexander W. Hunziker
- Neid - eine wichtige Triebfeder der Wirtschaft
- Anreiz - die Theorie dazu stimmt leider nicht
- Achtsamkeit - wird in keinem Wirtschaftslexikon definiert, sollte aber