Donnerstag, 11. Januar 2024

Blickkontakt


Während meines Studiums vor über 30 Jahren, war eine berühmte Persönlichkeit für ein Gastreferat in der Aula eingeladen. Der Publikumsandrang war gross, die Aula bald gefüllt und so wurde das Referat (bereits damals) in einen anderen, nahegelegenen Hörsaal live übertragen. Ich gehörte zu denen, die gerade noch einen Platz in der Aula ergattern konnten. Allerdings reichte es mir nicht mehr, vorher die Toilette aufzusuchen. Nach einer Weile musste ich die Aula zwangsläufig kurz verlassen und als ich wieder an meinen Platz wollte, liess mich das Sicherheitspersonal nicht mehr hinein. Ich musste im anderen Hörsaal den Rest des Referats hören. Als ich diesen Hörsaal betrat, war ich überrascht. Es herrschte da eine völlig andere Stimmung als in der Aula. In der Aula war es mucksmäuschen still gewesen und alle hatten andächtig dem Referat gelauscht. Hier aber gab es Getuschel und Gemurmel, es gab halblaute Kommentare, jemand streckte seine Schuhe aufs Pult, jemand mampfte ein Sandwich. Ich habe mich gefragt, was wohl diesen Unterschied ausmachte - und hatte bereits damals die Vermutung, dass der Blickkontakt eine wichtige Rolle spielt.

Was ich aufgrund eines Missgeschicks erlebt habe, hätte eine experimentelle Versuchsanordnung für den Unterschied von virtueller und tatsächlicher Präsenz sein können. Mittlerweile haben wir damit alle Erfahrung, Corona sei Dank. Und doch scheint mir der Unterschied nicht völlig geklärt. Darüber lohnt es sich nachzudenken.

Was ich an virtuellen Meetings oft schmerzlich vermisse, ist tatsächlich der Blickkontakt. Wenn wir nur zu zweit sind, mag ich es verschmerzen, denn ich kann mich auf andere Weise nah und verbunden fühlen. Aber wenn wir eine handvoll Leute sind, ist der fehlende Blickkontakt manchmal eine Katastrophe. Ein Kollege, der wieder einmal überlange Monologe hält, kann nicht mittels elegantem Blickkontakt an die Perspektive der Zuhörenden erinnert werden. Unelegantere Formen des Unterbrechens sind nötig, und es dauert länger, bis jemand sich entschliesst, diese einzusetzen. Bei Spannungen im Raum lässt sich nicht durch Verfolgen der Blicke abschätzen, was eigentlich abläuft. Und bei einer hyperaktiven Führungsperson lässt sich nicht per Blickkontakt mit Kopfbewegung aushandeln, wann es Zeit ist und wer heute an der Reihe ist, sich unbeliebt zu machen und den Chef zu bremsen.

Und, wenn ich’s mir recht überlege, ist es online auch zu zweit sehr schade, dass es den Moment nie gibt, wo wir uns gegenseitig in die Augen sehen. Tatsächlich zeigt sich in Studien, dass wir Dinge besser erinnern, wenn die erzählende Person Blickkontakt mit uns hat. Und dass wir die erzählende Person eher mögen. Und dass wir sie eher als aufrichtig einstufen - vermutlich, weil Personen, die etwas zu verbergen haben, dem Blickkontakt eher ausweichen. Sogar die Hirnwellen scheinen sich zu synchronisieren, wenn Blickkontakt stattfindet. Das zu messen ist eine ziemlich technische Angelegenheit, das praktisch zu erleben hingegen ist emotional. Eine Forscherin, die sich damit befasst hat, Barbara Fredrickson, bezeichnet die Momente des gegenseitigen Blickkontakts als «micro moments of love». Und das ist durchaus wörtlich gemeint, wenn auch nicht auf Liebe im engeren Sinn bezogen, wie bei einem Augenflirt oder in Humphrey Bogarts berühmten «Schau mir in die Augen, Kleines», sondern es bezieht sich einfach auf eine Beziehung, die weniger oberflächlich, echter und warmherziger wird als üblich.

Ich glaube, wenn wir emotional nährende Beziehungen am Arbeitsplatz fördern wollen, dann ist das eine Erkenntnis, der wir tief in die Augen schauen sollten.


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