Samstag, 7. Oktober 2017

Priorität



Priorität hat, was vorrangig ist und daher vor allem anderen zu bedienen oder zu vollziehen ist. Wichtig an der Priorität ist, dass sie nicht objektiv gegeben ist, sondern dass wir sie zuschreiben: Prioritäten werden gesetzt. Das führt mitunter zu Problemen.

 [Sich ablenken zu lassen ist auch eine Art, Prioritäten zu setzen.]

Eines davon ist, dass wir dauernd Dringendes zu erledigen haben, das nicht wirklich wichtig ist. Der Vormittag geht mit der Beantwortung von E-Mail vorbei, es ist Mittag und wir haben noch gar nichts Richtiges erledigt. Wenn das mehrere Tage so geht, bringt man auch in einer Woche nichts zustande.  Die Standard-Lösung für dieses Problem lautet: Teile Wichtiges in mehrere Teilaufgaben, die Du terminierst. Durch den Termin erhalten sie endlich Priorität und werden erledigt. Sowas lernt man heute auf jedem Zeitmanagement-Seminar. Diese Strategie ist durchaus wertvoll, hilft aber wenig, wenn das eigentliche Problem woanders liegt.
Manager berichten oft, dass sie lauter Dinge zu erledigen hätten, die wichtig und dringend seien. Obwohl hier eine gesunde Portion Skepsis durchaus angebracht ist – ist das alles wirklich wichtig und dringend? – ist dieser Fall ernst zu nehmen. Meine Empfehlung lautet, dann nicht Prioritäten zu setzen, sondern „Posterioritäten“: Was wird zurückgestellt, worauf wird verzichtet? – Rein sachlogisch gesehen läuft das auf dasselbe hinaus, psychologisch macht es aber einen grossen Unterschied: Beim Prioritäten setzen achten wir darauf, was besonders herausragt in der Hoffnung, am Schluss doch noch alles rechtzeitig erledigen zu können. Beim Setzen von Posterioritäten hingegen geben wir diese Hoffnung ein Stück weit auf und fragen, was bei Verspätung oder Nichterledigung den geringsten Schaden anrichtet. Das führt meistens zu praktikablen Ergebnissen.
Eines der schwerwiegendsten Probleme mit dem Setzen von Prioritäten ist jedoch völlig anderer Natur und scheint zunächst harmlos. Es wird kaum in Management-Seminaren thematisiert, weil die meisten von uns sich nicht einmal bewusst sind, dass das Problem bei ihnen besteht. Es geht um den Handy-Antwort-Reflex: Wir blicken automatisch auf unser SmartPhone, wann immer es sich regt. Wer immer sich bei uns auf digitalem Weg meldet, erhält höchste Priorität, egal ob wir gerade in einem wichtigen Gespräch sind oder bei einer Arbeit, die Konzentration erfordert. Der Punkt ist, dass wir so die Prioritäten praktisch immer falsch setzen, nur für den Fall, dass einmal wirklich etwas Dringendes wäre, das wir dann zeitlich vorziehen könnten. Kleinigkeit, könnte man denken, es geht ja nur um ein paar Sekunden. Weit gefehlt. Wer ständig mental auf Pikett ist, bezahlt einen unheimlich hohen Preis. Zum ersten benötigen wir nach einer kurzen Unterbrechung wie Studien belegen sehr viel Zeit, um uns wieder zu konzentrieren. Möglicherweise mehr Zeit als verstreicht, sich das Handy zum nächsten Mal wieder meldet. Zum zweiten senden wir an unsere Gesprächspartner das unmissverständliche Signal, dass sie nicht so wichtig sind: Sie erhalten keine Priorität. Das ist international und interkulturell unmissverständlich. Wenn wir eifrig das Gegenteil beteuern, machen wir die Sache nicht besser, sondern wirken bloss obendrein noch unglaubwürdig. Und zum dritten - und das ist womöglich der dramatischste Punkt - entstehen selbst in der Kaffeepause kaum mehr Gelegenheiten, wo man sich ein bisschen öffnet,  etwas Privates mitteilt, wo so etwas wie persönliche Nähe entstehen kann, weil das Handy auf dem Tisch und damit die potentielle Unterbrechung in der Luft liegt.
Was können Sie tun? Natürlich ist es auffällig, wenn Sie mehrmals pro Monat einen „Sorry-kein-Akku“-Tag einlegen. Aber Sie könnten ja allen mitteilen, dass Sie an einem Experiment zur SmartPhone-Nutzung teilnehmen, in dessen Rahmen Sie verpflichtet sind, nächsten Monat nur noch beschränkt über diesen Kanal verfügbar zu sein. Und dass Sie alle Ihre Kollegen bitten sollten, dasselbe zu tun. – Und falls Sie nicht gerne schummeln, dürfen Sie sich direkt bei mir für die Teilnahme an einem solchen Experiment melden. Ich wollte nämlich schon immer etwas Derartiges untersuchen, und wenn Sie und ein paar andere sich diesen Monat bei mir melden, erhält diese Projektidee garantiert Priorität.

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