Wie schön wäre das Leben, wenn es fehlerfrei abliefe! Keine
peinlichen Tippfehler im Titel eines Textes, zum Beispiel. Keine Mitarbeitenden,
die zu spät kommen. Keine verspäteten Züge wegen falscher Wartung. Keine
versteckten Baumängel im kürzlich gekauften Eigenheim. Keine Computerabstürze
wegen fehlerhaften Druckertreibern. Kein übereifriger Mitarbeiter, der die seit
drei Tagen abgelaufene Garantiezeit zum Anlass nimmt, mir die Garantie auf ein
Gerät zu verweigern, obwohl sich Händler und Hersteller mit einer
Geschäftsphilosophie der Kundenfreundlichkeit in den Medien präsentieren.
[Sind Fehler immer schlecht?]
Nie
mehr auf dem Klo sitzen ohne Papier. Und vor allem: Keine Projekte, die Zeit
oder Kosten überschreiten. Klingt doch phantastisch! – Möchten Sie in dieser
Welt leben?
Es scheint zunächst verlockend, aber wenn ich genauer
darüber nachdenke, kommen mir Zweifel. Was für ein Leben wäre das, wenn alles
wie geschmiert liefe, wie eine grosse Maschine? Nichts Unvorhergesehenes. Wäre
Improvisationstalent noch gefragt? Das gute Gefühl, einen Fehler ausgebügelt zu
haben wäre jedenfalls dahin, weil es die Fehler ja nicht mehr gibt. Wäre die
menschliche Grösse noch gefragt, dies es braucht, um jemanden um Verzeihung zu
bitten? Oder um zu verzeihen? - Wie würde ein Skirennen aussehen, in einer
fehlerfeien Welt? Ein Skirennen ohne Kantenfehler, ohne verfehlte Tore, ohne
das falsche Training oder das falsche Wachs? Wie würde wirtschaftlicher
Wettbewerb aussehen in einer perfekten Welt? Er würde wohl keinen Sinn mehr
machen. Jedenfalls dann, wenn wir Wettbewerb als ein Entdeckungsverfahren
betrachten. Ein Verfahren zur Entdeckung dessen, was möglich, was besser ist.
In der perfekten Welt müsste alles schon entdeckt sein. Das stelle ich mir
sehr, sehr langweilig vor, also alles andere als „perfekt“.
Wie wichtig Fehler sind, wurde vor einigen Jahren in der
Zahnmedizin erkannt. Alte Menschen mit schrumpeliger Haut, etwas schiefen
Augenlidern und ungleichen Wangenknochen, sehen mit einem perfekten neuen
Gebiss, mit weissen Zähnen in Reih‘ und Glied, einfach nicht gut aus. Es wirkt
unnatürlich. Widerstrebend und mühsam musste gelernt werden, wie man unperfekte
Zähne perfekt imitiert.
Ein vergleichbarer Prozess durchläuft im Moment die
Forschung über die Interaktion zwischen Mensch und Roboter. Dort hat man
festgestellt, dass Menschen lieber mit menschenähnlichen Robotern interagieren,
wenn diese Fehler machen. Ist das nicht spannend? Aus der extrem logischen und
rationalen Welt der Robotik entspringt plötzlich das Bedürfnis nach etwas
Unberechenbarkeit. Programmierer, die bisher immer Fehler vermeiden mussten,
sind damit beschäftigt, den Robotern das Fehler-Machen beizubringen. Nicht
irgendwelche Fehler, sondern ganz bestimmte:
Solche die nicht dramatisch sind, solche, die man ihnen verzeihen kann.
Etwas Vergesslichkeit oder ein Missverständnis wegen einer falschen Annahme.
Alles, damit die Interaktion mit ihnen menschlicher erscheint. Menschlicher als
sie in Wirklichkeit ist.
Mich erinnert dies an den Spielzeughund, der sich bewegen
und kläffen kann, den sich meine Tochter vor Jahren sehnlichst zum Geburtstag
gewünscht hat. Die kalte Maschine war mit einem kuschligen Fell und einem
treuherzigen Gesichtchen kaschiert.
Lange gespielt damit hat meine Tochter damit allerdings nicht. Das hat mich
beruhigt. Das Kaschieren der kalten Maschine nimmt nun aber immer raffiniertere
Formen an. Das macht mir Angst. Den technologischen Fortschritt deshalb
generell zu verteufeln, wäre wohl ein Fehler. Aber ob „emotional-intelligente“
Roboter die Welt wirklich besser machen, wage ich zu bezweifeln. Vielleicht
hilft diese Entwicklung immerhin, dass wir Menschen uns selbst besser
verstehen. Vielleicht hilft sie uns, unsere Fehler mit anderen Augen zu sehen,
und – wer weiss – sie vielleicht sogar
wieder mehr als Teil des Menschlichen Daseins zu schätzen. Das jedenfalls, wäre
sicher kein Fehler.
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