Sonntag, 3. September 2017

Fehelr



Wie schön wäre das Leben, wenn es fehlerfrei abliefe! Keine peinlichen Tippfehler im Titel eines Textes, zum Beispiel. Keine Mitarbeitenden, die zu spät kommen. Keine verspäteten Züge wegen falscher Wartung. Keine versteckten Baumängel im kürzlich gekauften Eigenheim. Keine Computerabstürze wegen fehlerhaften Druckertreibern. Kein übereifriger Mitarbeiter, der die seit drei Tagen abgelaufene Garantiezeit zum Anlass nimmt, mir die Garantie auf ein Gerät zu verweigern, obwohl sich Händler und Hersteller mit einer Geschäftsphilosophie der Kundenfreundlichkeit in den Medien präsentieren. 

[Sind Fehler immer schlecht?]

Nie mehr auf dem Klo sitzen ohne Papier. Und vor allem: Keine Projekte, die Zeit oder Kosten überschreiten. Klingt doch phantastisch! – Möchten Sie in dieser Welt leben?
Es scheint zunächst verlockend, aber wenn ich genauer darüber nachdenke, kommen mir Zweifel. Was für ein Leben wäre das, wenn alles wie geschmiert liefe, wie eine grosse Maschine? Nichts Unvorhergesehenes. Wäre Improvisationstalent noch gefragt? Das gute Gefühl, einen Fehler ausgebügelt zu haben wäre jedenfalls dahin, weil es die Fehler ja nicht mehr gibt. Wäre die menschliche Grösse noch gefragt, dies es braucht, um jemanden um Verzeihung zu bitten? Oder um zu verzeihen? - Wie würde ein Skirennen aussehen, in einer fehlerfeien Welt? Ein Skirennen ohne Kantenfehler, ohne verfehlte Tore, ohne das falsche Training oder das falsche Wachs? Wie würde wirtschaftlicher Wettbewerb aussehen in einer perfekten Welt? Er würde wohl keinen Sinn mehr machen. Jedenfalls dann, wenn wir Wettbewerb als ein Entdeckungsverfahren betrachten. Ein Verfahren zur Entdeckung dessen, was möglich, was besser ist. In der perfekten Welt müsste alles schon entdeckt sein. Das stelle ich mir sehr, sehr langweilig vor, also alles andere als „perfekt“.
Wie wichtig Fehler sind, wurde vor einigen Jahren in der Zahnmedizin erkannt. Alte Menschen mit schrumpeliger Haut, etwas schiefen Augenlidern und ungleichen Wangenknochen, sehen mit einem perfekten neuen Gebiss, mit weissen Zähnen in Reih‘ und Glied, einfach nicht gut aus. Es wirkt unnatürlich. Widerstrebend und mühsam musste gelernt werden, wie man unperfekte Zähne perfekt imitiert.
Ein vergleichbarer Prozess durchläuft im Moment die Forschung über die Interaktion zwischen Mensch und Roboter. Dort hat man festgestellt, dass Menschen lieber mit menschenähnlichen Robotern interagieren, wenn diese Fehler machen. Ist das nicht spannend? Aus der extrem logischen und rationalen Welt der Robotik entspringt plötzlich das Bedürfnis nach etwas Unberechenbarkeit. Programmierer, die bisher immer Fehler vermeiden mussten, sind damit beschäftigt, den Robotern das Fehler-Machen beizubringen. Nicht irgendwelche Fehler, sondern ganz bestimmte:  Solche die nicht dramatisch sind, solche, die man ihnen verzeihen kann. Etwas Vergesslichkeit oder ein Missverständnis wegen einer falschen Annahme. Alles, damit die Interaktion mit ihnen menschlicher erscheint. Menschlicher als sie in Wirklichkeit ist.
Mich erinnert dies an den Spielzeughund, der sich bewegen und kläffen kann, den sich meine Tochter vor Jahren sehnlichst zum Geburtstag gewünscht hat. Die kalte Maschine war mit einem kuschligen Fell und einem treuherzigen Gesichtchen  kaschiert. Lange gespielt damit hat meine Tochter damit allerdings nicht. Das hat mich beruhigt. Das Kaschieren der kalten Maschine nimmt nun aber immer raffiniertere Formen an. Das macht mir Angst. Den technologischen Fortschritt deshalb generell zu verteufeln, wäre wohl ein Fehler. Aber ob „emotional-intelligente“ Roboter die Welt wirklich besser machen, wage ich zu bezweifeln. Vielleicht hilft diese Entwicklung immerhin, dass wir Menschen uns selbst besser verstehen. Vielleicht hilft sie uns, unsere Fehler mit anderen Augen zu sehen, und  – wer weiss – sie vielleicht sogar wieder mehr als Teil des Menschlichen Daseins zu schätzen. Das jedenfalls, wäre sicher kein Fehler.

-------------------------------------- Das subjektive Wirtschaftslexikon ---------------------------------

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