Warum schenken Menschen wildfremdem Servicepersonal Geld,
nachdem sie gegessen oder auch nur etwas getrunken haben? Interessanterweise
geben viele Menschen die gleiche Antwort: „Es ist eine Anerkennung für eine
gute Leistung und im Gastgewerbe verdient man ja so wenig.“ Erstaunlich finde
ich, dass diese Antwort in sehr verschiedenen politischen Lagern funktioniert: Wirtschaftsliberale
FDP-Sympathisanten stützen sich vor allem auf die Leistungskomponente im ersten
Teil, linke SP-Wählerinnen mehr auf den Mitleids-und-Grosszügigkeits-Appell im
zweiten Teil. Das macht diese Begründung offenbar mehrheitstauglich. Das
eigentlich Irritierende daran ist, dass trotz der enorm breiten Zustimmung, beide Teilaussagen einer kritischen Prüfung nicht standhalten.
[Trinkgeld zu geben ist unfair, aber keins zu geben fühlt sich schlecht an. ]
[Trinkgeld zu geben ist unfair, aber keins zu geben fühlt sich schlecht an. ]
Es stimmt natürlich, dass die Löhne im Gastgewerbe
bescheiden sind. Aber das Trinkgeld ist in der Schweiz seit über dreissig
Jahren offiziell abgeschafft und im verlangten Preis bereits inbegriffen. Und
wer bitteschön, bezahlt der Kioskfrau oder dem Herrn an der Kasse bei Aldi ein
Trinkgeld? Da sind die Löhne doch auch sehr tief. – Eben. Warum also im
Restaurant?
Und wie steht es mit dem Leistungsanreiz? In einer
Stamm-Kneipe mag es sein, dass einen besseren Service erhält, wer bei guter
Bedienung stets gutes Trinkgeld bezahlt. Meistens wird aber auch Trinkgeld
gegeben in Restaurants, in denen man in der Masse der Gäste verschwindet oder
schon weiss, dass man kein zweites Mal einkehren wird, weil man etwa auf der
Durchreise ist. Wer hier den Hinweis macht, es wäre nicht fair, in dieser
Situation kein Trinkgeld zu bezahlen muss sich aber fragen lassen, warum er
sich dann beim Reisebüro beraten lässt und anschliessend die Tickets drei
Franken günstiger im Internet bucht, warum er ennet der Grenze zum Shopping
fährt oder Bücher beim Amazon bestellt, die bei einem Schweizer Online-Händer
nur ein Trinkgeld teurer wären. Was immer die Antwort - respektive die Ausrede -
Ökonomen haben zweifelsfrei festgestellt, dass das Trinkgeld Geben in vielen
Situationen eine ziemlich irrationale Sache ist. Und, vermutlich weil sich viele Ökonomen
selbst beim Trinkgeldgeben beobachtet haben, sind auch Erklärungsversuche in der
Wissenschaft nicht ausgeblieben, warum es vielleicht doch gewinnbringend sein könnte.
Schliesslich will keiner gern als „irrational“ dastehen: Trinkgeld zu geben wäre rational, wenn man
seiner Begleitung gegenüber signalisieren möchte, dass man ein grosszügiger
Mensch ist. Sich als grosszügig und daher vertrauenswürdig darzustellen kann
mit Leichtigkeit eine Stange Geld wert sein, das ergäbe einen Sinn. Nur geben
wir oft auch Trinkgeld, wenn es keiner sieht, den wir kennen. Daher wirkt
dieser Erklärungsversuch nur mässig überzeugend.
Wenn es uns gelingt, den zwanghaften Ökonomen-Impuls zu unterdrücken,
Trinkgeld Gebende als rational darzustellen, können wir den Prozess nüchterner
betrachten. Da kommt zwar wenig Erhebendes heraus, aber wenigstens ein paar empirisch
abgesicherte Fakten: Servierpersonal mit weisser Hautfarbe erhält mehr als
solches mit dunkler Hautfarbe. Männer erhalten mehr als Frauen. Blonde Frauen
erhalten mehr als Frauen mit anderer Haarfarbe. Weibliches Servicepersonal mit
grosser Oberweite erhält mehr als diesbezüglich weniger üppig Ausgestattete. In
Lokalen, die auch Alkohol ausschenken, erhält das Personal mehr Trinkgeld als
in solchen, die dies nicht tun. Und: Servierpersonal, das den Gast zufällig
(oder scheinbar zufällig) bei der Verrichtung der Arbeit berührt, erhält mehr
Trinkgeld. Und dann noch das: Der Koch, der ja doch nicht unwesentlich für das
Gesamterlebnis verantwortlich ist, erhält in der Regel nichts.
Das ernüchternde Fazit: Trinkgeld zu geben ist nicht nur
irrational. Es ist unfair, rassistisch, sexistisch und hat herzlich wenig mit Leistung
zu tun. – Was mich an der Sache fasziniert und mich sicher macht, dass wir mit
dem Erforschen dieser an sich banalen Tätigkeit noch nicht wirklich zu Rande
gekommen sind, ist dies: Obwohl ich das alles weiss, und daraus schliesse, dass es das Beste wäre, wenn wir alle auf das Geben von Trinkgeld verzichten würden, habe ich es selbst bisher nicht geschafft, mich konsequent daran zu halten. - Prost!
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