Nicht alles, was auf Anhieb stumpfsinnig klingt, bestätigt
sich bei näherer Betrachtung als Bieridee. So mag ein Begriff wie „Zeitbuchhaltung“
zunächst irritierende Assoziationen auszulösen wie die Vorstellung, dass wir
akribisch Buch führen müssten, wie wir unsere Zeit verbringen, wo wir doch
schon genug administrativen Kram am Hals haben. Gemeint ist aber, dass
nationale statistische Büros das für uns tun, indem sie eine genügend grosse
Zahl von uns befragen, um eine verlässliche Schätzung abzugeben. Zwar haben
solche Büros ebenfalls genug administrativen Kram am Hals, aber wenn sie es so
tun, wie es vorgeschlagen wird, könnte das Resultat den Aufwand mehr als rechtfertigen.
[Das Addieren von Glück könnte gelingen.]
Die Geschichte geht so: Wir alle wissen, dass materieller Wohlstand irgendwie cool
ist, keiner möchte wirklich verzichten, aber wir wissen auch, dass Geld allein
nicht glücklich macht. Die traditionelle Messung des Bruttosozialproduktes ist
folglich so, als ob wir während einer Schatzsuche nur unseren Tacho anschauen,
das Navi aber ausgestellt lassen und denken würden: Je schneller wir fahren,
desto früher finden wir den Schatz. Ein Navi wäre also nicht schlecht.
Wir wissen alle, dass Glück zu einem guten Teil Privatsache
ist, indem jeder dafür seine Verantwortung wahrzunehmen hat, aber wir wissen
auch, dass dies unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen schwerer fällt
als unter anderen. Der Staat kann und soll nicht die ganze Verantwortung für
unser Glück tragen, aber seinen Teil eben sehr wohl, bitte sehr. Und damit er
das tun kann, braucht er Messgrössen um festzustellen, ob das, was er da tut,
in die richtige oder in die falsche Richtung wirkt.
Seit mehreren Jahrzehnten befassen sich Wissenschaftler mit
der Frage, wie man Lebenszufriedenheit messen kann und solche Messungen werden
auch fleissig im grossen Stil veranstaltet.
Verschiedene Messinstrumente wurden für verschiedene Zwecke konstruiert,
validiert und verbessert. Das Resultat ist sehr erfreulich. Heute kann man
unterschiedliche Aspekte von „Glück“ wie etwa kurzfristiger, positiver Affekt
oder längerfristige Lebenszufriedenheit gut auseinanderhalten, man kann sie kostengünstig
erheben und man kennt die Schwierigkeiten der Messinstrumente ebenso wie die
Wege, wie man sie umgehen kann. Mühe bereitet aber nach wie vor das das
sinnvolle Zusammenzählen. Schwer ist nicht das Addieren von Ziffern und auch
nicht wirklich, das Beantworten dieser Frage: Bedeutet für mich 7 auf einer
10er-Glücks-Skala das Gleiche wie für Sie? – (Aus dem Addieren von Geld machen
wir ja auch keine Geschichte, dabei könnten wir mit gutem Recht fragen, ob
10‘000 Franken für mich dasselbe bedeuten wie für Sie, aber das ist ein anderes
Thema.)
Klar ist folgendes: Eine Gesellschaft mit einem durchschnittlichen
Glücksindex von 5 ist weniger erstrebenswert als eine mit Glücksindex 9. Schon
schwieriger wird es, wenn wir zwei Gesellschaften vergleichen, die beide den
Glückindex 7 aufweisen: Im einen Fall resultiert 7 aus lauter recht zufriedenen
(6-8), im anderen Fall aus vielen Hochzufriedenen (10) aber einigen Depressiven
(1). Viele von uns würden wohl ersteren
Zustand mit der geringeren Spannbreite vorziehen, aber durchaus nicht alle.
Endgültig kompliziert wird es, wenn wir einen höheren Glückindex abwägen müssen
gegen eine höhere Spannbreite. Man kann es zwar tun, aber wie immer man sich
entscheidet, das Resultat bleibt methodisch anfechtbar. Geschmackssache. Jeder,
dem das Resultat nicht gefällt, kann das Verfahren angreifen. So geht es
natürlich nicht.
Hier kommt die Zeitbuchhaltung ins Spiel. Sie misst, wieviel
Zeit wir „unzufrieden“ verbringen. Die Intensität der Unzufriedenheit spielt
keine Rolle. Man verwendet also nicht alle verfügbare Information, was an sich
irgendwie unschön ist, aber es resultiert etwas, worauf man sich möglicherweise
international verständigen kann: Einen Index, der auf der simplen Idee basiert
„Je weniger Zeit wir unzufrieden verbringen, desto besser.“ Diese Idee ist nicht neu, und sie wird von führenden Forschern unterstützt. Poetisch
ausgedrückt hat sie Carl Sandburg: „Zeit ist die Münze Deines Lebens. Es ist die einzige Münze, die Du hast und nur Du kannst bestimmten, wie sie verwendet wird. Sieh zu, dass nicht andere sie für Dich ausgeben.“ - Egal ob wir es nun lieber pragmatisch oder poetisch
mögen: Ein bisschen mehr Ahnung zu haben, wofür wir unsere Zeit eigentlich
„ausgeben“ wäre nicht schlecht. Aber ich
gebe gern zu: Eine noch so gute Idee hat es schwer, wenn sie „Zeitbuchhaltung“
heisst. Bleibt zu hoffen, dass ein paar Leute etwas Zeit auf zufriedene Weise verbringen,
um einen attraktiveren Namen zu finden.
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