Donnerstag, 4. April 2019

Wahlmöglichkeit

Der Begriff Wahlmöglichkeit braucht nicht definiert zu werden, er ist selbsterklärend. Ebenso offensichtlich scheint es auch zu sein, dass es von höchste Bedeutung ist, Wahlmöglichkeiten zu haben. Denn: Wer keine Wahl hat, ist meistens unzufrieden. Daraus könnte man nun leicht folgern: Mehr Auswahl sei generell besser als weniger Auswahl. Dann ist man zwar in bester Gesellschaft von angesehenen Ökonomen, aber eben leider auch auf dem Holzweg, wie die folgenden vier Punkte zeigen.

[Wählen zu können, hat nicht nur Vorteile.]

Zum ersten: Wenn wir aus sechs Pralinen eine ausgewählt haben, sind wir danach sicherer, die bestmögliche Wahl getroffen zu haben, als wenn wir aus 36 gewählt hätten. Die Wahrscheinlichkeit, unsere Wahl in Zweifel zu ziehen, nimmt bei zunehmender Auswahl zu und macht uns unzufriedener. Zudem beansprucht die Wahl aus 36 mehr Zeit. Und diese verbringen wir meist nicht angenehm, sondern unter der Qual der Wahl. Wahlmöglichkeiten machen uns also keineswegs einfach glücklicher, sie haben Kosten.

Zum Zweiten: Stellen Sie sich vor, man könnte eine Ehe beenden, indem man eine SMS an das Standesamt schreibt mit dem Inhalt: STOP EHE. Wäre das nicht wunderbar? Jede unangenehm gewordene Beziehung könnte sofort beendet werden, jederzeit hätte man die Wahlmöglichkeit. - Nun, wir alle ahnen zumindest, dass das es keine gute Idee wäre. Experimente belegen denn auch, dass man mit einem gefällten Entscheid zufriedener ist, wenn man ihn nicht (!) revidieren kann. Ein Faktor dürfte der Zweifel sein. Wenn ich jederzeit einen Entscheid revidieren kann, muss ich mir dauernd überlegen, ob eine solche Revision ansteht. Einen unumkehrbaren Entscheid muss ich hingegen nicht überdenken und kann stattdessen meine mentale Energie in die Richtung lenken, um das Beste aus der Situation zu machen. Das macht tendenziell zufrieden. Damit soll nicht gesagt sein, die Hürden für eine Trennung sollten unendlich hoch sein, aber wenn es gar keine Hürden gäbe, fehlte etwas Wichtiges. Sich festlegen zu können und Wahlmöglichkeiten auszuschliessen, hat eben auch Vorteile.

Zum dritten: Waren Sie schon einmal in einem amerikanischen Supermarkt? Unüberschaubar viele Sorten allein für ein einfaches Yoghurt! 12 Marken mit jeweils fettfrei, fettarm, halbfett oder vollfett stehen zur Wahl. Von den Varianten der Verpackungsgrössen will ich gar nicht sprechen. Findet da fairer Wettbewerb statt? Möge der bessere gewinnen? - Ehrlich gesagt, schmecken alle Joghurts ziemlich gleich und niemand nimmt sich die Zeit, alle zu verkosten. Es gewinnt also kaum der bessere Joghurt, wohl aber die Marke, die sich selbst am besten anpreist und sich im Unterbewusstsein der Kundinnen und Kunden besser einnistet. Eine entscheidende und kostspielige betriebswirtschaftliche Aktivität, die auf den Preis geschlagen werden muss. Wir bezahlen mit jedem Yoghurt den Hersteller dafür, dass er eine Marketingfirma beauftragt, die dann professionell und basierend auf der neusten neurologischen Forschung unser Gehirn manipuliert, während wir ahnungslos im Internet surfen. Das ist alles andere als effizient. Und ich finde es eher gruselig.

Zum vierten: Ist es besser, wenn die Einwohner von Hongkong aus 2 oder aus 20 Kandidaten für ihren Präsidenten wählen können? Die Antwort ist: Es spielt keine Rolle. Denn Peking wird nur Personen zulassen, die der KP Chinas genehm sind. Die Diktatur trägt zuweilen ein demokratisches Gewand. – Soweit so bekannt? Dann passen Sie auf: Ist es besser, wenn das amerikanische Stimmvolk aus 2 oder aus 20 Kandidaten auswählen kann? Auch das spielt keine Rolle. Die Kandidatur ist so abartig teuer, dass nur Erfolgschancen hat, wer sich zuvor beim Geldadel beliebt gemacht hat. Auch die in der westlichen Welt übliche «Monetokratie» trägt zuweilen ein demokratisches Gewand. Vielleicht sogar meistens. - Aber immerhin können wir wählen.


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