Montag, 3. Februar 2020

Einsamkeit


Einsamkeit ist ein schillernder Begriff, weil er verschiedene Bedeutungen hat. Wir alle waren schon einmal einsam und es war wohl kaum besonders angenehm. Aber Einsamkeit kann durchaus positiv sein, denn Einsamkeit steht ja auch für einen Seelenzustand der Besinnung und Entspannung. Man sucht die Einsamkeit, um sich vielleicht über Lebensfragen klar zu werden, oder um die Leere zu geniessen, weil man vorher zu viel Trubel hatte.

[Die Einsamkeit wohnt nicht im Altersheim, sondern gleich neben Ihnen.]

Aber natürlich ist mit Einsamkeit meist ein unangenehmer seelischer Zustand gemeint, nämlich das Gefühl, dass soziale Beziehungen fehlen. Das Vorkommen dieses Zustands wird als zunehmendes gesellschaftliches Problem wahrgenommen. Dass in England ein Ministerium für Einsamkeit geschaffen wurde, unterstreicht diese Perspektive. Tatsächlich hat der Anteil der Personen, die sich nie einsam fühlen in der Schweiz zwischen 2002 und 2017 von 70% auf 61% abgenommen. Allerdings waren bereits 1997 nur 64% nie einsam. Es ist objektiv also schwer zu entscheiden, ob es einen langfristigen Trend zur Einsamkeit überhaupt gibt.


Einsamkeit wird primär mit dem Alter in Verbindung gebracht. Das ist aber nur ein kleines bisschen richtig. Oder deutlicher gesagt: Es ist fast komplett falsch. Damit wir uns gut verstehen: Soziale Kontakte zu erhalten ist im Alter schwieriger, weil Gleichalterige nicht mehr da sind und die eigene Mobilität oft eingeschränkt ist. Das soll nicht in Abrede gestellt werden. In den Daten der schweizerischen Gesundheitsbefragung zeigt sich das aber kaum: Bei den Männern wie bei Frauen sind diejenigen über 65 die am wenigsten einsame Altersgruppe. Ja, richtig gelesen: Am wenigsten. Das will so gar nicht dem Bild entsprechen, das wir uns aus der Zeitungslektüre gemacht haben. Die Erhebungen sind aber eindeutig und an der Stichprobengrösse kann es nicht liegen - über 20’000 Personen wurden befragt: Einsamkeit nimmt im Laufe des Lebens fast kontinuierlich ab, erst in der höchsten Altersgruppe ab 75 dreht sich dieser Trend. Bei den Männern nur geringfügig, bei den Frauen deutlicher: Im Alter von über 75 sind 6% der Frauen «ziemlich oft» oder «sehr oft» einsam, bei den Männern sind es 3%. Der Unterschied ist leicht nachzuvollziehen, weil Frauen ja länger leben. Im hohen Alter verlieren Sie folglich viel eher Ihren Ehemann als gleichaltrige Männer ihre Ehefrau. Für Betroffene ist das heftig und verdient sicher unsere Aufmerksamkeit. Es gibt allerdings andere, einflussreichere Faktoren. Der Anteil der «ziemlich oft» oder «sehr oft» Einsamen ist nämlich über 7% bei Ausländern, bei bildungsfernen Menschen und bei solchen, die in der Romande oder im Tessin leben. Diese Zusammenhänge schaffen es allerdings selten in die Schlagzeilen.
Ein wichtiger Unterschied ist, ob man objektiv gesehen sehr wenige soziale Kontakte hat, oder ob man unter vielen Menschen einsam ist, etwa am Arbeitsplatz. Hier sind die betrieblichen wie auch die psychischen Kosten von Einsamkeit erheblich. Denn einsamere Mitarbeitende engagieren sich gemäss Untersuchungen weniger für das Unternehmen, leisten in den Augen der Vorgesetzten weniger, werden von anderen als weniger kontaktfreudig beurteilt und bieten von sich aus seltener Hilfe an.  Der letzte Punkt scheint interessant, denn wäre es nicht ein guter Weg aus der Einsamkeit, indem man anderen hilft? – Schon, aber es ist nicht so einfach. Einsamkeit unterliegt einer Dynamik. Zunächst ist Einsamkeit ein gesundes Alarmsignal, das uns die Nähe von anderen suchen lässt. Wenn das aber während längerer Zeit nicht gelingt, dann nimmt die Fähigkeit, soziale Beziehungen aufzubauen ab. Dabei sind Einsame nicht grundsätzlich weniger sozial kompetent. Sie nehmen aber mit der Zeit soziale Bedrohungen intensiver wahr und erinnern sich besser an solche. Es ist wie eine Bewegungseinschränkung, die nach einem Sportunfall bestehen bleibt, obwohl alles gut verheilt. Dort braucht es Physiotherapie. Hier braucht es ebenfalls Hilfe von aussen, damit einsam gewordene Menschen nicht in einer Spirale der Einsamkeit gefangen bleiben. -  So stellt sich die Frage, was man denn tun kann.
Können Sie heute jemandem helfen, sich weniger einsam zu fühlen bei der Arbeit? Können Sie für jemanden, dem es vielleicht guttun würde, für einen Moment echtes Wohlwollen und Interesse aufbringen? Und falls ja, wie und wo haben Sie das gelernt? Ich denke, die Antworten auf diese Fragen weisen uns den Weg in eine weniger einsame, in eine gemeinsame und «inklusive» Zukunft. Aber vor allem müssen wir den Mut finden und einen ersten kleinen Schritt auf jemanden zu gehen. Wissen Sie schon, auf wen?


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