Montag, 19. Juli 2021

Eigentum

Mein oder Dein? – Das Spannungsfeld ist mindestens so alt wie die Menschheit. Die Vorstellung, dass nicht das Recht des Stärkeren oder Flinkeren die Frage entscheiden sollen, scheint hingegen eine Neuzeitliche Erfindung zu sein. Es leuchtet ein, dass Stammesgemeinschaften eher florierten, wenn Hungrige nicht die Vorräte ihrer Nächsten plünderten, sondern sich selbst auf die Suche nach Essbarem machten. In Bruderkriegen geht stets mehr verloren als gewonnen wird. Es wundert daher kaum, dass die Respektierung des Eigentums, die Herrschaft über das, was einem gehört, in fast allen Kulturen der Welt eine moralische Forderung ist: „Du sollst nicht stehlen.“ Das ist effizient, da sind im Prinzip alle einverstanden.

Im Detail mag es dann Ausnahmen geben. Etwa wenn die Arbeiterkasse sich von Kapitalisten unfair behandelt und ausgebeutet sieht. Oder wenn Reichtum kaum erwirtschaftet, sondern vor allem vererbt wird. Oder wenn nur ganz wenige superreich sind und der Rest ziemlich arm. Oder vielleicht auch dann, wenn die Reichen gleich auch noch die Gesetze machen, und zwar so, dass sie noch reicher werden und die Ärmeren noch leichter auf Distanz halten können. Da ist dann mit der alten Effizienz-Geschichte keinen Staat mehr zu machen. Da zerbröselt die Legitimität des Eigentums und des droht die Revolution.

Drei Aspekte des Eigentums scheinen mir bemerkenswert. Erstens wünschen sich Menschen eine geringere Ungleichverteilung als sie tatsächlich vorherrscht. Verschiedene Studien belegen das. Neoliberale Ökonomen meinen dieses Argument vom Tisch zu fegen, wenn sie darauf hinweisen, dass auch Ärmere von Wirtschaftswachstum profitieren. Sie ignorieren dabei, dass ab einem gewissen Punkt zusätzliches Einkommen kaum mehr zur Lebenszufriedenheit beiträgt, Einkommensungleichheit aber massive Nachteile mit sich bringt wie erhöhte Kindersterblichkeit, mehr psychische Krankheiten, mehr Verbrechen, weniger soziale Mobilität und mehr Frauendiskriminierung. Diese Liste könnte weiter fortgesetzt werden und die Empirie dazu ist solide. Niemand spricht davon, dass alle gleichviel haben sollen, aber die Evidenz spricht klar dafür, dass überhöhte Einkommensungleichheit massiven gesellschaftlichen Schaden anrichtet.

Zweitens: Menschen scheinen sich systematisch über die tatsächliche Ungleichverteilung zu täuschen, sie halten sie für massiv geringer als sie ist. Auch das ist belegt und es hat wichtige Konsequenzen. Man gesteht durch diese Täuschung dem Eigentum eine grössere Legitimität zu als man es tun würde, wenn man eine korrekte Vorstellung der tatsächlichen, horrenden Ungleichheit hätte. Selbst neoklassische Ökonomen wissen, dass schlecht informierte Menschen schlechte Entscheide fällen. Das müsste ihnen zu denken geben.

Und drittens: Eigentumsrechte prägen unsere Zukunft. Bei der Gesetzgebung gilt zwar formell «pro Person eine Stimme», aber Reiche nehmen trotzdem mehr Einfluss. In der Tendenz werden Gesetze von den Reichen für die Reichen gemacht. Dieser Effekt dürfte bei grösserer Einkommensungleichheit stärker ausfallen. Ungleichheit ist also nicht nur eine Gefahr für die Wohlfahrt, sondern auch für die Demokratie.

Die Schweiz hat es sich etwas einfach gemacht, als sie in der Bundesverfassung festhielt: «Das Eigentum ist gewährleistet.» Deutschland schreib sich wesentlich Inspirierenderes ins Grundgesetz: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ – Diesen Grundsatz umzusetzen ist zweifellos herausfordernd. Weil die Pandemie Schwache ungleich heftiger trifft als Starke, sollten wir ihn unbedingt im Auge behalten. Dass wir Eigentumsrechte definieren ist eine ökonomische Notwendigkeit, aber wie wir sie definieren, ist eine demokratische Aufgabe, deren Bedeutung weit über das Ökonomische hinaus geht.

 


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