Montag, 3. Dezember 2018

Mitgefühl


Mitgefühl haben heisst Anteil nehmen am Leid anderer Menschen. Die Weihnachtszeit erinnert uns jährlich daran. Obwohl die Weihnachtszeit in vielen Branchen herausragend wichtig ist, kommt dem Mitgefühl in der Betriebswirtschaftslehre keine nennenswerte Bedeutung zu. Klar ist es angenehm, oder im Einzelfall sogar wichtig, dass Mitarbeitende jemanden im Betrieb zu kennen, der Anteil nimmt, wenn sie gerade einen emotionalen Taucher erlebt haben.

[Mitfühlende leiden daran, nicht helfen zu können.]

Aber thematisiert, organisiert oder gar gemanagt wird das Mitgefühl nicht. Das scheint auch nicht nötig, denn meist übernehmen Personen mit Sekretariatsfunktion diese Rolle spontan, und dies obwohl sie dafür kaum wertgeschätzt werden, jedenfalls nicht finanziell. - Kann es also sein, dass Mitgefühl betriebswirtschaftlich irrelevant ist? Nein? - Ein zweiter Blick auf diese Frage ist durchaus gerechtfertigt, denn in der Psychologie gilt Mitgefühl als eine zentrale Voraussetzung für Soziale Intelligenz. Mitgefühl ist notwendig, um auf andere Personen Einfluss zu nehmen, sei es einfach als Freund, als Kollegin oder eben auch als Führungskraft. So gesehen müsste Mitgefühl als eine zentrale Führungskompetenz gelten.
Statt Mitgefühl sagen Manager lieber Empathie. Obwohl Empathie und Mitgefühl oft mit der gleichen Bedeutung verwendet werden, klingt Empathie einfach professioneller und wissenschaftlicher. Und zudem könnte sich Empathie auch auf positive Gefühle beziehen, während Mitgefühl tendenziell negative Emotionen bei der anderen Person voraussetzt, das nimmt der Sache etwas die Schwere. Empathie kann definiert werden als die Fähigkeit sich in andere einzufühlen, also ihre Empfindungen, Emotionen und Gedanken zu erkennen und zu verstehen und dabei die Motive und die Persönlichkeitsmerkmale der anderen Person zu berücksichtigen. Egal ob wir aber von Mitgefühl oder Empathie sprechen, entscheidend scheint mir weniger die Fähigkeit als die Bereitschaft zu sein, sich auf dieses Einfühlen einzulassen. Oder anders gesagt: Wohl sind wir alle einigermassen empathiefähig, wir können aber diese Fähigkeit ganz gut unterdrücken. Und das tun wir auch regelmässig. Denn mitzufühlen heisst oft auch mitzuleiden und das kann sehr anstrengend sein, mitunter bis zum Kollaps. Nicht umsonst sind in Pflege- und Gesundheitsberufen Symptome von emotionaler Erschöpfung bis zum Burnout häufiger anzutreffen als in anderen Berufen. Aber das Thema beschränkt sich nicht auf eine Branche. Jeder Manager, der schon Mitarbeitende entlassen musste, kann mitreden. Man muss sich eben abgrenzen. Anders ist es kaum auszuhalten. Die gängige Methode ist, sich zu verhärten, sich einzureden, es ginge einen nichts an und sich danach abzulenken. Das funktioniert eigentlich ganz gut, aber die Abspaltung der Gefühle hat ihren Preis. Die Frage lautet also: Können wir emotional präsent bleiben, ohne auszubrennen?
Ja, das geht. Als empathische Wesen verstehen und spüren wir nicht nur, wie sich andere fühlen, sondern wir erleben auch einen Handlungsimpuls. Wir leiden nicht hauptsächlich, weil wir das Leid des anderen mitfühlen, sondern weil wir nichts dagegen tun können. Wir leiden an unserem unerfüllbaren Handlungsimpuls, also an Hilflosigkeit, Frustration, Abwehr, Entmutigung und Vermeidung. Meistens können wir tatsächlich nichts tun, manchmal könnten wir schon, aber unsere Hilfe wird nicht angenommen. Wie auch immer, der unerlöste Handlungsimpuls ist entscheidend dafür, ob wir beim Mitfühlen auch mitleiden. Forschungsresultate lassen die Vermutung zu, dass Mitgefühl ohne Handlungsimpuls nicht zur Erschöpfung führt und viel eher hilfreiche Geisteszustände aktiviert wie Mut, Verbundenheit oder Hoffnung. Wohl darum wird diese Art des Mitgefühls von leidenden Personen oft als hilfreicher empfunden.
Ist solches lernbar? Ist es möglich zu sehen, wie es jemandem schlecht geht und dann nicht selbst zu leiden, weil man nicht helfen kann? Soll man das überhaupt wollen, oder wäre das nicht hartherzig? – Ja, das ist lernbar; nein, es ist nicht hartherzig. Denn um am Handlungsimpuls nicht zu leiden, ist es unnötig, überhaupt keinen zu verspüren. Es genügt zu merken, wenn man einen Handlungsimpuls hat, dass dieser in der aktuellen Situation nicht hilfreich ist. Es geht darum, tief im Bauch unten zu verstehen, dass es einfach zum Leben gehört, manchmal hilflos zu sein und mit dieser unangenehmen Tatsache in Frieden zu kommen. Wer das schafft, kann Mitgefühl so zum Ausdruck bringen, dass es andere weiterbringt und ohne sich selbst dabei zu erschöpfen. Möge das gelingen. Wenn nicht Ihrem Vorgesetzten, so dann Ihnen selbst. Fröhliche Weihnachtszeit.

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Tagung zu Achtsamkeit in Organisationen am 16. Oktober in Bern.

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Montag, 5. November 2018

Willenskraft


Unter Willenskraft kann man die Fähigkeit verstehen, Entscheide auch dann richtig zu fällen, wenn sie unangenehm sind und es eine bequemere, aber falsche Alternative gäbe. Wer merkt, dass der aktuelle Job ihn langsam krank macht, aber noch keine neue Stelle in Aussicht hat, braucht Willenskraft um zu künden. Wer wegen Übergewicht weniger Kalorien zu sich nehmen möchte und an einer duftenden Imbissbude vorbeigeht, braucht Willenskraft, um nicht stehenzubleiben und die eigenen Vorsätze über den Haufen zu werfen.

[Ohne Willenskraft ist vernünftiges Wirtschaften unmöglich.]

So gesehen ist die Willenskraft eine der wichtigsten ökonomischen Fähigkeiten des Menschen überhaupt. Kaum wären je ein Schiff gebaut, ein Acker gepflügt, ein Brot gebacken worden, wären wir nicht in der Lage, kurzfristigen Bequemlichkeiten und Verlockungen zu widerstehen.
Interessanterweise kann man Ökonomie studieren, ohne einer Theorie der Willenskraft zu begegnen oder auch schon nur schon einer Theorie, in der Willenskraft eine Rolle spielt. Dabei belegen Studien längst in eindrücklichster Weise ihre Wichtigkeit. Im berühmten Marshmallow-Experiment wurde kleinen Kindern eine duftende Süssigkeit vor die Nase gesetzt und der Versuchsleiter stellte klar, dass das Kind die doppelte Ration bekommt, wenn es diese hier nicht isst, bis der Versuchsleiter zurückkommt, worauf er den Raum verliess. Hinterhältigerweise wartete er aber so lange, bis das Marshmallow verschlungen war. So konnte man feststellen, wie lange die Kleinen der Versuchung standhielten. Dieser Versuch aus den 70er-Jahren wäre wohl in Vergessenheit geraten, wenn nicht über zwei Jahrzehnte später Daten der mittlerweile erwachsenen Probanden des damaligen Tests erhoben worden wären. Es zeigte sich, dass die mit dem Marshmallow-Test gemessene Willenskraft eine erstaunlich hohe Vorhersagekraft auf den beruflichen Erfolg hatte. Zu diesem Zeitpunkt konnte man aber nicht sicher sein, ob diese Willenskraft vielleicht einfach nur angeboren war. Mittlerweile haben sich mindestens drei Faktoren gezeigt, wie man die eigene Willenskraft beeinflussen kann.

Der erste Faktor betrifft unseren Körper.  Wenn wir unsere Muskeln anspannen, sind wir eher in der Lage, einen unangenehmen, aber richtigen Entscheid zu treffen. Das bedeutet, wenn wir uns bewusst sind, dass wir einen wichtigen, unangenehmen Entscheid treffen müssen, können wir einen einfachen Trick anwenden: Erst die Muskeln anspannen, dann entscheiden. Das hilft.
Der zweite Faktor betrifft die mentale Erschöpfung. Versuchungen zu widerstehen ist anstrengend. Die Wahrscheinlichkeit einer aktuellen Verlockung nachzugeben ist höher, wenn wir kurz vorher bereits ein, zwei Versuchung standhalten mussten. Die Regel, dass man nie hungrig zum Einkaufen gehen sollte, fusst letztlich auf diesem Effekt. Man kann mit dieser Erkenntnis aber noch mehr Praktisches anfangen: Wenn Sie Ihrer Vorgesetzten ein tolles, aber riskantes Projekt vorstellen und ihre Unterstützung gewinnen wollen, achten Sie darauf, dass Sie es möglichst früh am Morgen präsentieren. Dann ist die Willenskraft Ihrer Vorgesetzten am grössten und ebenso die Wahrscheinlichkeit, dass sie Ihr gutes, aber unkonventionelles Projekt genehmigen wird. Wenn das nicht geht, dann finden Sie wenigstens einen Termin direkt nach dem Mittagessen.
Der dritte Faktor sind die Rahmenbedingungen unseres Alltags. Wer Gewicht abnehmen möchte und sein  Arbeitsweg führt an einem Schnellimbiss vorbei, hat massiv schlechtere Chancen, das eigene Ziel zu erreichen. Sich einen anderen, womöglich zwei Minuten längeren Arbeitsweg anzugewöhnen braucht wahrscheinlich weniger Willenskraft als täglich zu widerstehen und steigert die Erfolgschancen enorm. „Führe uns nicht in Versuchung“ wäre demnach weniger als frommer Wunsch zu verstehen, denn als Bedienungsanleitung für die Gestaltung des eigenen Alltags.
Zugegeben, Willenskraft ist nicht alles. Zuerst müsste man ja wissen, welches überhaupt der richtige Entscheid ist. Falls Sie da noch unschlüssig sind, dann wünsche ich Ihnen, dass Sie, um die Frage zu klären, die nötige Willenskraft aufbringen.


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Dienstag, 9. Oktober 2018

Immigrationspreis


Der Immigrationspreis ist das, was es kostet, aus einem versagenden, unfairen und korrupten Staat in ein erfolgreiches Land einzuwandern. Die eigentlichen Reisekosten betragen im Prinzip nur wenige hundert Franken. Aber man erhält von so einem Staat womöglich keinen Pass und muss daher anders reisen: illegal, riskant und teuer. Dabei ist der Betrag, den man für eine illegale Reise einer Schlepperbande bezahlen muss, nur der offensichtliche Teil des Gesamtpreises. Entscheidend sind die vier Preiszuschläge.

[Nur eine verrückte Idee kann funktionieren.]

Der erste Zuschlag besteht darin, die Reise unter menschenunwürdigen Bedingungen zu absolvieren, der zweite besteht im Risiko, während der Reise missbraucht zu werden, der dritte besteht im Risiko, die Reise gar nicht zu überleben. Und als ob das nicht schon genug wäre, lauert ein kleiner, aber heimtückischer vierter Zuschlag: Mit zunehmender Immigration kippt die Stimmung im Zielland und es steigt das Risiko, dort diskriminiert zu werden - oder Schlimmeres.
Die Situation ist paradox: Eine Willkommenskultur löst das Problem nicht, weil es weitere Flüchtlinge animiert, ihr Leben für die Immigration zu riskieren und sich die Stimmung im Zielland dadurch verschlechtert. Eine Abschreckungspolitik löst das Problem ebenfalls nicht, weil dies zu höheren Schlepperpreisen und damit zu einer Professionalisierung der Schlepper führt. Mit Waffengewalt Flüchtlinge an der Einreise zu hindern ist ethisch kaum vertretbar. - Mich erinnert dies stark an die Drogenproblematik der 80er- und 90er-Jahre: Man konnte nicht tatenlos zusehen wie Drogen viele Menschen und letztlich die ganze Gesellschaft zerstören, aber die repressive Verbotspolitik funktionierte auch nicht und die totale Legalisierung war politisch nicht realisierbar - und wäre vielleicht nicht einmal wünschenswert gewesen. Erst die Überwindung des Schwarz-Weiss-Denkens führte damals aus der Krise. – Im Falle der Migrationsproblematik könnte die Kombination aus fünf Ideen könnte das Paradox auflösen:
·         „Eintritts-Anzahlung“: Statt eines Schlepperpreises ist ein Immigrations-Anzahlung an das Zielland zu bezahlen. Diese ist etwa gleich hoch wie ein Schlepperpreis, berechtigt aber zu einer sicheren Reise und zu einer Einreise mit einem zu schaffenden „Immigranten-Visium“.
·         Immigrations-Steuer. Personen mit „Immigranten-Visum“ müssen solange „Immigrationssteuern“ bezahlen, bis sie zusammen mit der „Eintritts-Anzahlung“ einen festgelegten Betrag dem Staat bezahlt haben. Das Abzahlen dieser Summe innert einer Frist ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung, um bleiben zu dürfen. Wer abreisen muss, erhält bereits einbezahlte Beträge zurück.
·         Sprachkompetenz. Personen mit „Immigranten-Visum“, die nach 12 Monaten keine Landessprache genügend sprechen, müssen wieder abreisen.
·         „Tieflohn-Erlaubnis“: Unternehmen ist es erlaubt, Personen mit „Immigranten-Visum“ in den ersten 12 Monaten zu Löhnen unterhalb der Mindestlöhne zu beschäftigen, sofern sie den Spracherwerb wirksam fördern.
·         „Kontingent mit nationalen Quoten“: Die Immigranten-Visa sind insgesamt kontingentiert. Pro Herkunftsland werden Quoten festgelegt. Diese Quoten werden vierteljährlich angepasst in Abhängigkeit von drei Faktoren: Wie viele Personen dieses Landes müssen wegen mangelnder Sprachkenntnis ausgeschafft werden? Wie viele Straftaten werden durch Personen dieses Herkunftslandes verübt? Wie lange dauert es, bis Menschen dieses Landes die Immigrationssteuer abbezahlt haben?
So profitiert auch die Gesellschaft im Zuwanderungsland. So wirkt die Wirtschaft als integrierende Kraft. So helfen die bereits Eingewanderten den Neuankömmlingen, sich im Zielland rasch zu integrieren, statt sich gemeinsam abzukapseln.
Ist das eine verrückte Idee? Vielleicht schon, aber eines ist klar: Es kann nur eine Idee funktionieren, die uns heute mindestens so verrückt erscheint, wie die Idee damals, den Junkies als Belohnung für ihren liederlichen Ausstieg aus der bürgerlichen Gesellschaft auch noch die Spritzen zu schenken.


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  • Ethikanreize -  könnten langsam aber sicher versiegen.
  • Stupsen -  hilft Menschen das zu tun, was sie eigentlich wollen.
  • Versprechen - einzuhalten ist schwierig, wenn wir mit Maschinen interagieren.




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