Samstag, 5. November 2016

Burnout



Burnout ist, wenn man vor lauter Arbeiten nicht mehr kann - das weiss heute jedes Kind. Dauerstress und mangelnde Wertschätzung sind die zentralen Ursachen, und die Burnoutfälle und –risiken nehmen dramatisch zu. Mehrere Studien belegen das in der Schweiz, in Europa, in der westlichen Welt. Das weiss vielleicht nicht jedes Kind, aber sogar Kinder haben heute Burnout.


[Wer ein Burnout hat ist ein heldenhaftes Opfer.]

Wie von Fachleuten immer wieder betont wird, ist Burnout keine klinische Diagnose.  Erschöpfungsdepression wäre ein treffenderer Ausdruck. Das mag fachlich korrekt sein, aber es gibt einen guten Grund, warum sich trotzdem der Begriff „Burnout“ durchsetzt. Ich vermute, es ist genau der gleiche Grund, der auch dafür verantwortlich ist, dass überhaupt wir so viele Burnouts haben: Weil wir nämlich als Gesellschaft zunehmend zur „organisierten Selbstüberforderung“ neigen und das wiederum liegt an unserer Werthaltung. Diese zeigt sich etwa so:
Wer ein Burnout hat ist ein heldenhaftes Opfer im hehren Kampf um Effizienz und Wirtschaftswachstum und wird respektvoll behandelt, fast wie in anderen Ländern die Kriegsveteranen. Wer Depressionen hat ist ein Verlierer, ein Weichei, wahrscheinlich selber schuld und man sollte sich von ihm fernhalten, denn der Kontakt mit Depressiven ist für „normale Menschen“ meistens unangenehm, für den Betroffenen therapeutisch wertlos und … womöglich sind Depressionen ansteckend? – Okay, ansteckend vielleicht nicht, aber irgendeinen akzeptablen Grund muss es doch geben, um sich als normaler Nichtdepressiver ohne schlechtes Gewissen zurückziehen zu können!
Aus dieser Werthaltung folgt: Burnout ist ein vorhersehbarer Kollateralschaden unserer Gesellschaft. Das heisst aber nicht, dass dies allen gleichgültig wäre. Manager müssen jetzt Burnout-Präventions-Programme durchlaufen und Burnout-Früherkennungs-Trainings absolvieren und das alles zusätzlich zum Alltagsgeschäft. Ironischerweise ist das womöglich ein zusätzlicher Stressfaktor.
Studien zeigen, welch enorme Summen die vielen Burnouts die Wirtschaft kosten (eine fundierte Schätzung für die Schweiz besagt, es seien 4 Milliarden pro Jahr, Tendenz steigend). Kaum untersucht ist die Tatsache, dass das Phänomen Burnout das Bruttosozialprodukt gleichzeitig aber auch steigert. Denken Sie an alle spezialisierten Kliniken, Therapieplätze, Selbsthilfebücher und die zunehmende Arbeit für Stress-Coaches, Therapeuten und Wiedereingliederungs-Experten. Diesen Betrag fundiert zu berechnen würde wohl ziemlich  zynisch wirken. Dabei wäre es nichts als eine nüchterne Betrachtung des menschlichen Treibens, das wir Wirtschaft nennen.
Ob wir nun von Burnout oder Depression sprechen, eins wissen wir sicher: Wer so etwas durchmacht ist für eine längere Zeit nicht glücklich. – Warum tut der Mensch, der ja angeblich so systematisch nach Glück strebt, sich das an? Irgendetwas scheint grundsätzlich schief zu laufen beim Streben nach Glück. Viele würden unserer „Leistungsgesellschaft“ die Schuld geben, aber es ist womöglich die grösste Ironie der Sache, dass Leistung und nachhaltiges Glück keine Widersprüche sind … es mindestens nicht sein müssten. Im Gegenteil zeigen Studie um Studie, dass wir lebenszufriedener und leistungsfähiger werden, wenn wir tun, was wir gut können, wenn wir unsere Stärken einsetzen und entwickeln und nach Zielen streben, die uns wertvoll erscheinen, sofern wir uns dabei selbst einigermassen Sorge tragen. Nach Leistung zu streben ist also kein Problem. Unsere verkrampfte Haltung dabei ist das Problem. Diese Verkrampfung ist bei uns üblich. Handelsüblich, gesellschaftsüblich, ja sie ist sogar so stink-normal, dass sie beinahe unsichtbar geworden ist. Entscheidend ist deshalb: Werden wir Therapien anwenden, die bloss den Status Quo wieder herstellen, oder kommen wir durch die Konfrontation mit unseren Grenzen zu einer anderen Lebenseinstellung? Ich stelle mir eine Lebenseinstellung vor, in der Leistung immer noch sehr wichtig ist, aber nicht mehr so auf Teufel komm raus wie heute, mit Statusdenken, Ellenbogen und Zeitdruck, sondern eher kombiniert mit Warmherzigkeit, Neugierde und Wachstum. - Soviel ist klar: Ohne Auseinandersetzung mit unserem Blinden Fleck bleibt jeder Heilungsversuch reine Symptombekämpfung. Dieser kollektive Blinde Fleck will gesehen werden, jetzt! Er ruft, tobt und will unsere Aufmerksamkeit. Wenn er sie nicht bekommt wird er - wie ein vernachlässigtes Kind - noch eins oben drauf legen. Und er wird ganz bestimmt nicht eines Tages ausbrennen und dann einfach nicht mehr da sein. Burnout ist ein Dauerbrenner.

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