Samstag, 8. Oktober 2016

Gratis


Gratis heissen Dinge, die kostenlos, also ohne Bezahlung erhältlich sind. Was als „gratis“ bezeichnet wird, heisst aber nur so, in Wirklichkeit sind oft erhebliche Kosten damit verbunden, auch – oder gerade dann – wenn, der genannte Gegenstand tatsächlich gratis ist. Die erwähnten Kosten schleichen sich durch die Hintertür und werden weitgehend ignoriert, weil ihre Ursache für uns ziemlich peinlich ist: Wir müssten uns eingestehen, dass wir viel weniger vernünftig sind, als wir gerne sein möchten.

[Die Kosten von "gratis" sind riesig ... und peinlich.]


Deshalb befassen sich nur Marketingprofis mit diesen Zusammenhängen. Sie sind womöglich professionell genug, sich selbst nachher einzureden, die Effekte gälten nur für die „dummen Kunden“, zu denen sie selbst nicht gehören …  sie wissen zwar, dass das nicht stimmt, aber irgendwie muss man ja sein Selbstwertgefühl im Lot halten. Aber item.

Die Sache ist dramatisch und unscheinbar zugleich. Steigen wir sanft ein. Stellen Sie sich vor, ich offeriere Ihnen einen Bücher-Gutschein für 10 Franken und zwar „gratis“. Damit können Sie Bücher, Musik oder anderes mehr nach Ihrer Wahl kaufen.  Würden Sie ihn annehmen? Wahrscheinlich schon, nicht wahr. Bevor Sie aber zugreifen, sage ich Ihnen, Sie könnten stattdessen auch einen 20 Franken-Gutschein haben, zwar nicht gratis aber mit satten 70% Rabatt. Er würde Sie nur 6 Franken kosten. Wie entscheiden Sie sich? – Wenn Sie wie die meisten entscheiden, dann bleiben Sie doch lieber beim Gratis-Gutschein und sind erst noch zufrieden mit Ihrer Wahl. Dabei reichen die Rechenkünste der meisten Menschen problemlos aus um festzustellen, dass Sie im ersten Fall 10 Franken geschenkt erhalten, im anderen Fall aber 14. Fazit: Viele von uns kriegen lieber 10 Franken geschenkt als 14. Wie bitte soll man das einem vernünftigen Menschen erklären? Und wenn das offenbar viele Menschen so tun: Wie soll man das in der Volkswirtschaftslehre berücksichtigen?


Der Grund, dass viele ein 10-Franken-Geschenk einem 14-Franken-Geschenk vorziehen, liegt in der „Verpackung“: Auf der einen steht „gratis“, auf der anderen nicht. Verschiedene Experimente bestätigen, dass wir völlig unvernünftig handeln, sobald es etwas gratis gibt. Hier ein Beispiel:


Möchten Sie lieber eine Lindt-Praline für nur 15 Cent oder ein Hershie-Praline für 1 Cent? So wurden Studierende in den USA gefragt und zwar nicht in einem Fragebogen, sondern an einem Stand, wo beide Sonderangebote tatsächlich erhältlich waren – allerdings gab es nur eine Praline pro Person. Lindt-Pralinen gelten offenbar auch in den USA als besonders gut, sie kosten normalerweise das Dreifache vom Preis in diesem Experiment. Hershie-Pralinen gelten als auch okay, aber sind etwas weniger Besonderes. Der Verkauf der Pralinen Lindt vs. Hershie ergab 73: 27, fast dreimal so viele Lindt-Pralinen wurden verkauft. Das hat niemanden wirklich erstaunt. Interessant wurde es, als beide Preise um 1 Cent gesenkt wurden: Lindt Praline 14 Cent, Hershie-Praline 0 Cent Diese Veränderung war ja nur minim, an den Preis-Grössenordnungen hat sich nichts geändert und nun waren die Forscher gespannt auf die Verkaufsresultate. Der Effekt war dramatisch:  31:69. Statt fast dreimal mehr wurden jetzt nur noch halb so viele Lindt-Pralinen „verkauft“. Viele Menschen entschieden sich also womöglich für ein Produkt, das sie gar nicht unbedingt haben wollen, sobald „gratis“ im Spiel ist. Weitere Experimente haben diesen Zusammenhang bestätigt und auch die gängigsten Einwände entkräftet.

Gute Verkäufer wissen dies längt, die entsprechenden Verkaufspraktiken, sind bereits eingeführt: Onlineshops senken wo immer möglich die Versandkosten auf null, weil dann mehr gekauft wird; Detailhändler geben im Sonderangebot lieber ein Gadget  gratis dazu statt einen gleichwertigen Preisabschlag, weil dann mehr zugelangt wird. Nun dämmert es den Volkswirten langsam, dass der „Gratis-Effekt“ eine weitere von vielen Arten ist, wie Wettbewerb zu unerwünschten Wirkungen führt, die in der klassischen Theorie nicht vorkommen: Trotz freier Wahl kaufen wir Dinge, die wir eigentlich nicht wollen und finanzieren jene Firmen damit, die uns bloss besser übertölpeln. Der „Gratis-Effekt“  ist daher einer der vielen Gründe, warum uns Wirtschaftswachstum nicht glücklicher macht.

Fazit: Wenn Sie das nächste Mal beim Einkaufen sind und es gibt irgendwo etwas angeblich „gratis“, dann nehmen Sie sich in Acht! –  Diesen Hinweis gebe ich Ihnen übrigens gratis.

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