Montag, 9. August 2021

Digitale Verarschung

Verarschen – falls jemand diesen Fachausdruck nicht kennt – bedeutet, jemanden zum Narren halten, sich über jemanden lustig machen; etwa indem man eine Person belügt und sich dann über ihre Gutgläubigkeit amüsiert. Man sollte denken, dass Unternehmen nicht lange überlebten, wenn sie die Kunden in grossem Stil veraschen. Das wäre mitunter der Sinn des Wettbewerbs. Das funktioniert in der Praxis aber nicht genau so. Im Gegenteil ist zu befürchten, dass es mehrere Arten der Kundenverarschung gibt, die sich in der Wirtschaft sogar bewährt und etabliert haben und die vermutlich von respektablen Beratungsunternehmen als gängige betriebswirtschaftliche Praxis an ihre Kunden «verkauft» werden. Von zwei Praktiken, die durch die Digitalisierung befeuert werden, möchte ich hier berichten. Es geht um intransparente Preispolitik und permanentes Kundenfeedback.

Vor Kurzem habe ich mir überlegt, meinen Internetanbieter zu wechseln und habe etwas rumgesurft. Dabei kam die berechtigte Frage auf, wieviel ich genau für mein derzeitiges Abo bezahle. Diese Angabe fand ich rasch auf der Homepage meines Anbieters. Irgendwie hatte ich aber ein ungutes Gefühl, loggte mich durch all die Sicherheitsroutinen hindurch ein, um meine letzte Rechnung einzusehen und siehe da: Tatsächlich wurde mir mehr verrechnet als im Internet angeblich verlangt wird. Das kann doch nicht sein, dachte ich. Deshalb teilte ich dem Kundendienst meine Beobachtung mit und bat ihn, dazu Stellung zu beziehen. Rasch erhielt ich eine Antwort: Wir bedanken uns für Ihr Interesse gegenüber unserem aktuellen Internet Angebot. Die neue Serie der Internet Abos hat andere Preise als bei der Aktivierung von Ihrem Internetanschluss. Gerne aktualisieren wir Ihr Abonnement mit unseren neuen Preisen, falls gewünscht. Wir bitten Sie, uns eine Bestätigung zukommen zu lassen. Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldung und wünschen Ihnen einen schönen Tag. - Daraufhin habe ich nachgefragt, ob die neue Serie von Abos wirklich genau die gleiche Leistung bietet. Das hat man mir bestätigt. Nachgeschoben wurde: «Bitte beachten Sie: Damit wir uns verbessern können, ist Ihre Bewertung wichtig (dauert nur 20 Sekunden).»

Ich muss ehrlich sagen, ich hatte keine Lust dazu. Ich kenne solche Bewertungen. Was soll ich antworten auf die Frage, ob mein Anliegen erledigt wurde? (Ja) Ob man freundlich war? (Ja) Ob die Leistung der Firma insgesamt meinen Bedürfnissen entspricht? (Ja) Und ob ich die Firma weiterempfehlen würde (Eher nicht). Darf ich wirklich hoffen, dass diese Firma dadurch besser wird? Wenn dem so wäre, wäre ich auch bereit, meine Zeit dazu zu verwenden, um meine Sicht der Dinge einer Person zu erklären, die wirklich zuhört und an einer Verbesserung interessiert ist. Mein Vertrauen, dass der geäusserte Wille zur Verbesserung ernst gemeint ist, ist allerding überschaubar. Ich befürchte, dass eine ehrliche Antwort so lauten würde:  «Gerne würden wir Sie anständig behandeln und Sie künftig über Preissenkungen informieren und Sie sogar ohne weiteres Zutun daran teilhaben lassen. Leider können wir uns das nicht leisten. Wir geben Preissenkungen nur an jene bisherigen Kunden, die sich aktiv melden. Alles andere wäre zwar fair, aber ehrlich gesagt auch zu teuer. Die Boni unserer Geschäftsleitung und die Kursgewinne unserer Aktionär*innen stehen auf dem Spiel.» Und wahrscheinlich würde das Schreiben enden mit: «Damit wir uns verbessern können, ist Ihre Bewertung wichtig (dauert nur 20 Sekunden).»

Dass manche Unternehmen Ihre Kunden verarschen ist nicht wirklich neu. Aber es scheint mir bemerkenswert, dass man es dank Digitalisierung noch viel effizienter machen kann. 

 


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