Freitag, 27. August 2021

Immunisierung

Natürlich lasse ich mich impfen, das ist ja sonnenklar. Kann man eine andere Meinung haben? Man kann. Ich selbst war vor rund 20 Jahren, als es um die «üblichen» Impfungen unserer Kinder ging auch verunsichert. Je mehr ich im Internet las, desto skeptischer wurde ich. Erst das Vertrauen in den Kinderarzt verhalf uns zu einem vernünftigen Entscheid. – Aber was heisst hier vernünftig? Vielleicht sind wir bloss der Pharmaindustrie auf den Leim gegangen. Woher soll man wissen, was wirklich stimmt? Und warum, bitte sehr, kann man sich - aller Forschung zum Trotz - gegen das Hereinfallen auf Verschwörungs­theorien heute immer noch nicht impfen lassen? 

Tatsächlich ist die Frage ziemlich gut untersucht, wovon es abhängt, ob Menschen etwas glauben oder nicht. Leider sind die Resultate ziemlich unrühmlich und unsexy.

Ob man etwas glaubt, hängt stark von der Rhetorik ab. In einem berühmten Experiment liess man einen Schauspieler als Forscher an einer wissenschaftlichen Konferenz auftreten. Er hielt eine brillante und  unterhaltsame Rede, in der er ein paar Studien erwähnte, die aber im Übrigen völlig inhaltsleer war. Das musste übrigens hart trainiert werden, anfangs rutschten dem Schauspieler immer wieder irgendwelche verbindlichen Aussagen über die Lippen. Endlich hatte er das inhaltsleere Gewäsch wirklich drauf. Das Resultat: Das Fachpublikum war begeistert. Damit war belegt, dass auch Expert*innen auf gute Rhetorik reinfallen. - Natürlich wurde das Publikum anschliessend aufgeklärt, dass es soeben genarrt worden ist. Das hielt einige der Fachleute nicht davon ab, nach vorn zu kommen, um mit sich mit dem Referenten weiter fachlich zu unterhalten. Tatsache ist ebenfalls, dass noch bis vor wenigen Jahren Graphologie an einer namhaften Universität gelehrt wurde, obwohl bereits seit Jahrzehnten keine belastbaren Belege für ihre Glaubwürdigkeit vorgelegt werden konnten. Selbst der Wissenschaftsbetrieb braucht manchmal erstaunlich lange, um seine eigenen Erkenntnisse umzusetzen. Und von den Personalfachleuten, die immer noch entsprechende Gutachten für gutes Geld in Auftrag gaben, wollen wir gar nicht sprechen. Es gibt heute noch ein paar.

Wenn sich also Glaube an Hokuspokus selbst im wissenschaftlichen Umfeld recht lange in den Köpfen hält, muss man nicht unbedingt die Moralkeule schwingen oder Leute für dumm oder für Verschwörungstheoretiker halten. Die Annahme, dass fast die Hälfte der Schweizer Verschwörungstheoretiker seien, ist jedenfalls ironischerweise selbst eine ziemlich abstruse Theorie. Warum müssen wir bereits eine Antwort parat haben, wenn sich viele nicht impfen lassen? Warum nicht sagen: Wir wissen es nicht. Und das tun, was die Wissenschaft kann: Es untersuchen und herausfinden.

Meine Vermutung ist, dass viele verunsichert sind, und darum noch zuwarten. Und ehrlich gesagt: Mit der „Mundschutz-nützt-nichts-Theorie“ sind wir nicht gerade vertrauensbildend in die Krise gestartet. Vertrauen wäre wichtig. Mir hat es damals geholfen bei den Impfungen meiner Kinder. Geschichten in den Medien über Familienkrach wegen der Impfung helfen nicht weiter. Ich möchte lieber eine Geschichte lesen, wie man sich in einer Familie trotz unterschiedlicher Meinungen zugehört hat, ohne einander zu verurteilen. Oder eine Geschichte, wie eine verunsicherte Person Vertrauen fasste. Ich weiss, das ist unsexy. Aber wäre es nicht vielleicht das, was uns gegen eine Spaltung der Gesellschaft immun machen würde?


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