Montag, 3. August 2020

neunormal

Jetzt, da die akute Phase der Coronakrise abzuebben scheint, wünschen sich Viele die Rückkehr zur Normalität. Verständlich. Aber die Krise geht nur in eine nächste Phase. Aber vor allem hat sie uns zuviel gekostet, als dass wir weitermachen sollten wie vorher.

 [Das alte "normal" war ein Dämmerzustand. ]

Und überhaupt, was war denn vorher? Wir erinnern uns schon gar nicht mehr so genau und neigen zum Romantisieren. Vorher war ein Händedruck so stinknormal, dass uns der kurze Moment körperlichen Kontakts nur selten aufgefallen ist. Vorher war uns der subtile Prozess des gemeinsamen Aushandelns von Nähe und Distanz bei einem Gespräch nur in Ausnahmefällen bewusst. Vorher wussten wir nicht, wieviel Lebensqualität wir gewinnen, wenn wir aufhören, täglich zu pendeln. Wollen wir, ja können wir in diesen Dämmerzustand zurück?  - Ja wir können. Alte Gewohnheit rostet nicht. Auch wenn wir uns gerne als lernfähige Wesen betrachten, so ist der Mensch ein Gewohnheitstier, das sich sehr rasch in alten, eingeschliffenen Verhaltensmustern wiederfindet - und ebenso rasch Ausreden parat habt, warum das so Sinn mache und unausweichlich sei: Damals, im Lockdown, das waren halt noch andere Zeiten. - Ausser vielleicht, man nimmt sich Zeit, darüber nachzudenken, was denn eben nicht einfach wieder normal, sondern «neunormal» werden soll. Hier sind ein paar Anregungen dazu:
  • Neunormal könne sein, dass wir Homeoffice-kompetent sind. Genauso, wie ich weiss, ob ich beim leisteten Luftzug eine warme Jacke brauche oder noch bei winterlichen Temperaturen ein kurzarm Shirt genügt, weiss ich auch ob Homeoffice für mich heute passt und entscheide mich mit erheblichem Freiraum und innerhalb von Grenzen.
  • Neunormal könnte sein, dass wir kompetent sind in virtueller Kommunikation. Wir wissen, wann ein Treffen geradesogut virtuell geht und wann wir auf einem physischen Treffen bestehen müssen. Wir wissen, was wir tun können, um die negativen Seiten von virtueller Kommunikation abzufedern. Wir gestalten unsere Interaktionen und fühlen uns auch dann nicht als Opfer einer Technologie, wenn sie uns stellenweise einschränkt.
  • Neunormal könnte sein, dass wir nicht mehr von «social distancing» sprechen, sondern von «physical distancing» und «social connection», weil wir gelernt haben, wie wichtig es ist, das eine nicht mit dem anderen zu vermischen und wie sehr es uns auslaugt, wenn wir es trotzdem tun.
  • Neunormal könnte sein, dass wir uns nicht wie Befehlsempfänger verhalten, die einfach einen Job machen, sondern wie erwachsene, reife Menschen, die sich erst informieren und dann entscheiden; und die merken, wann sie allein entscheiden können und wann sie andere beiziehen müssen.
  • Neunormal könnte sein, dass wir nicht wieder damit anfangen, nach perfekten Lösungen zu suchen, sondern unser wichtigstes Entscheidungskriterium «gut genug zum ausprobieren» bleibt. - Oh, was für ein Unterschied! Und das gelingt vor allem, wenn Viele das gemeinsam wollen. Wäre das nicht eine Führungsaufgabe? – Nicht uns vorzuschreiben, was neunormal ist. Uns zu inspirieren und uns dazu anzuleiten, damit wir gemeinsam und mutig beschliessen, was bei uns neunormal sein soll.
  • Neunormal könnte sein, dass Führungskräfte solche Prozesse anregen und begleiten und dass sie uns dabei auf Augenhöhe begegnen.
  • Neunormal könnte sein, dass wir jede Begegnung mit anderen Menschen als Geschenk empfinden und versuchen, diesen Moment zu wertschätzen, indem wir nicht vorausdenken, uns nicht von Kleinigkeiten ablenken lassen oder uns in eigenen Gedankengängen verlieren, sondern einfach freundlich und interessiert da sind. Dass wir immer wieder von neuem zu schätzen wissen, was uns Facebook, Twitter und Instagram nicht wirklich bieten können: Menschliche Präsenz. 


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Fachkurs Mindful Leadership BFH 2020

Tagung zu Achtsamkeit in Organisationen am 16. Oktober 2020 in Bern. 

 


 



 

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