Sonntag, 5. Juni 2022

Warum


Warum lassen sich Erwachsene von Kindern fast in den Wahnsinn treiben, die ständig fragen: «Warum?» Ich weiss es nicht. Ich fand es immer großartig, wenn meine Kinder etwas wissen wollten. Vielleicht weil es mir nichts ausmachte, gelegentlich zu sagen: «Das weiss ich nicht.» - Warum mir das nichts aus machte? Vielleicht weil ich in meiner akademischen Ausbildung gelernt habe, dass Nichtwissen nicht Dummheit ist. Nichtwissen ist ein permanenter, allgegenwärtiger Zustand. Man kann nur die Grenze etwas verschieben, so wie man dem Meer etwas Terrain abgewinnen kann mit Aufschüttungen und Deichen. Das Meer verschwindet deswegen nicht. Dumm ist also eher, keine Fragen zu stellen. Das tun meist die, die meinen, alles bereits zu wissen. Genau das sollte vermutlich auch mit dem Wappen von Harvard dargestellt werden: Es zeigt in der ursprünglichen Fassung drei Bücher, zwei davon offen und eines mit dem Rücken zu den Betrachtenden, sodass man den Inhalt nicht sehen kann. Das Nicht-Wissen sollte offenbar gemeinsam mit dem Wissen dargestellt werden. In der aktuellen Fassung des Harvard-Logos liegen übrigens alle drei Bücher offen da. Warum weiss ich nicht.

Spannend sind auch Fragen von Erstsemestrigen. Sie haben einen unverstellten Blick. Manche trauen sich Fragen zu stellen wie: «Warum müssen Unternehmen Geld verdienen? Genügt es nicht, wenn die Mitarbeitenden Geld verdienen?» Manche mögen dies als dumme Frage sehen, weil es eine einfache Antwort gibt, die bekannt sein könnte: «Weil es nicht nur Arbeit braucht, sondern auch Kapital und die Kapitalgebenden eine Entschädigung wollen, weil sie ein Risiko eingehen.» Mir hingegen gefällt die Frage. Weil es eine einfache Antwort gibt und es unklar ist, ob die Studierenden sie nicht kennen oder ob sie sie nicht überzeugt. Und falls sie behaupten, ich hätte sie überzeugt, bleibt weiterhin unklar, ob es ihnen wirklich einleuchtet oder ob sie einfach sozial intelligent genug sind zu wissen, dass man mit diskutieren aufhören sollte, bevor man sich unbeliebt macht.

Noch nie habe ich erlebt, dass jemand im Hörsaal die Frage gestellt hat «Warum soll ich mich im Studium anstrengen?». Obwohl das eine sehr zentrale Frage ist, wenn wir über Arbeitsmotivation sprechen.  Es ist vielleicht die relevanteste Frage des Arbeitslebens überhaupt. «Warum möchten Sie das wissen?», könnte ich elegant zurückfragen? Aber dies zu parieren wäre nicht schwer: «Weil mich wunder nimmt, ob die schönen Motivationstheorien in meinem Alltag hilfreich sind.» - Da käme man um eine generellere Frage nicht herum: «Was ist Ihnen denn generell wichtig im Leben?» Nun können ganz verschiedene Antworten kommen. Dass jemand viel Luxus möchte, die Erwartungen der Eltern erfüllen, nicht schlechter als andere dastehen will oder sich für Gerechtigkeit einsetzen oder zur Unterstützung von Benachteiligten etwas beitragen möchte. Was immer die Antwort im Einzelfall ist, die Schlussfolgerung ist dieselbe: «Sie sollten sich anstrengen im Studium, weil Sie dann mehr lernen und somit das, was Ihnen wichtig ist, eher und besser erreichen. Das wird Sie selbstsicher und glücklicher machen.» Wenn nun die ehrliche Antwort ist: «Ich sehe nicht, wie mir mein Studium helfen soll, mein Ziel zu erreichen», dann haben wir ein grosses Potential entdeckt. Mittelschüler*innen jedenfalls, denen man gezeigt hat, was sie bis zur Matura noch lernen werden und sie dann darüber nachdenken liess, inwiefern dieser Stoff sie befähigen wird, einen Beitrag zu einer besseren Welt zu leisten, waren danach deutlich motivierter. In einem Projekt an der Kantonsschule Frauenfeld haben wir damit angefangen, allen Schüler*innen solche Fragen zu stellen – und die Lehrpersonen hörten einfach interessiert zu, ohne die Antworten zu bewerten. Eine Form von Achtsamkeit. Warum machen das nicht längst alle Schulen so? Und warum trainieren wir junge Menschen nicht systematischer darin, sich selbst solche Fragen zu stellen? Warum.

 

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