Montag, 5. August 2019

Storytelling


Storytelling ist brandaktuell, aber nicht simpel. Und uralt: Bereits im Altertum wusste man, dass Geschichten wirksamer sind als abstrakte Information. So kann man die Information «Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.» mit einer Geschichte zum Leben erwecken. Sie könnte damit anfangen, dass ein jugendlicher Schafhirt aus Langeweile das Dorf alarmiert hat, obwohl da weit und breit kein Wolf war. Zur guten Story braucht es Menschen mit Zielen, Widerstand und Kampf, so ist auch für Emotionen gesorgt. Mit diesem Anfang bietet sich für alles Platz.

[Verdienen Schwarze weniger als Weisse in den USA nur wegen einer Geschichte?]

Aktuell ist Storytelling heute aber weniger in der Erziehung, sondern eher in Politik und Wirtschaft. Wir haben immer mehr Information, aber wie wir sie deuten müssen, bleibt unklar. Wenn einer einem anderen einen Stein an den Kopf schleudert, ist nicht klar, was das bedeutet. Wenn der eine David heisst und der andere Goliath ist es nicht unbedingt dasselbe, wie wenn einer der Vermummte ist und der andere der Polizist. So wird mit Geschichten die öffentliche Meinung beeinflusst.
Im Marketing hat man diesen Zusammenhang längst entdeckt. «Unsere Produkte sind hautfreundlich» ist eine trockene Aussage. Wenn da die Geschichte des Firmengründers ist, dessen Kind an Neurodermitis erkrankt und der fast bis zur Bewusstlosigkeit experimentiert, bis er das Leid seines Kindes lindern kann, dann sind da Emotionen, das bleibt in Erinnerung und wirkt glaubwürdig. Dass ein Konkurrenzprodukt bessere Eigenschaften hat und günstiger ist, blenden wir dann gerne aus. Storytelling ist daher eindeutig betriebswirtschaftlich relevant. Aber gesamtwirtschaftlich bleibt es für viele bloss eine Randnotiz zum üblichen Gerangel um Kunden. Ökonomen erzählen wohl gerne Geschichten in ihren Lehrbüchern, aber das ist reine Didaktik. Als theoretischer Baustein kommen Geschichten in ökonomischen Lehrbüchern gemeinhin nicht vor. Man ist bisher mit Preisen und Mengen, mit Monopolen, Externen Effekten und Transaktionskosten ganz gut zurechtgekommen. Es gibt allerdings Ausnahmen. Zum Beispiel ein Buch von zwei Nobelpreisträgern in Ökonomie, George Akerlof und RobertShiller. Diese beiden Autoren halten Geschichten für einen absolut zentralen Baustein einer modernen Wirtschaftstheorie.
Nehmen Sie zum Beispiel die Ölkrise von 1971. Da hatten ein paar arabische Ölförderstaaten beschlossen, statt sich gegenseitig die Preise zu drücken, gemeinsam die Ölfördermengen zu drosseln und so mit den erhöhten Preisen zu Milliardengewinnen zu kommen. In der Folge sind die Preise gestiegen. Der Vorgang heisst in der Fachsprache «Kartell» und ist in der ökonomischen Theorie bestens bekannt. Kein Grund zur Aufregung. Der Preisanstieg traf aber auf das Narrativ der «endlichen Ressourcen». Da konnte man ihn als den Anfang vom Weltuntergang deuten. Das machte politisch an sich völlig wahnwitzige Ideen wie autofreie Sonntage nicht nur salon-, sondern auch mehrheitsfähig. Selbst wenn man das aus Perspektive des Klimawandels heute begrüsst, darf man doch staunen, dass so Drastisches möglich geworden ist auf Basis einer so wackeligen Argumentation. Ackerlof und Shiller gehen noch weiter. Es gehört für sie zu den wirtschaftlichen Rätseln, warum es Menschen mit dunkler Hautfarbe in den USA wirtschaftlich immer noch so viel schlechter geht als Hellhäutigen, wo doch seit so langer Zeit so viel getan und so viel erreicht worden ist. Sie meinen, dass ein erheblicher Teil des Unterschieds darauf beruht, dass Dunkelhäutige glauben, dass sie diskriminiert werden, dass sich Anstrengung daher nicht lohnt und sich darum weniger anstrengen. Sollte tatsächlich ein simples Narrativ eine riesige Bevölkerungsgruppe entmutigen und in ökonomisch prekären Verhältnissen gefangen halten? Das wäre ein starkes Stück. Ein direkter Beweis für dieser These ist kaum zu erbringen. Aber einige Forschungsarbeiten lassen sie durchaus plausibel erscheinen: Mitarbeitern, denen eine gute Geschichte erzählt wird, warum sie weniger Lohn bekommen, revanchieren sich tatsächlich weniger mit Leistungsreduktion. Frauen, denen eine „Geschichte“ von erfolgreichen Frauen erzählt wird, sind in Leistungstests danach tatsächlich erfolgreicher. – Wie machen wir nun aus dieser Erkenntnis nun eine Geschichte, damit wir uns das leichter einprägen und vielleicht tatsächlich danach handeln? - Wie gesagt: Brandaktuell, aber nicht simpel.


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