Freitag, 4. Januar 2019

Neujahrsvorsatz

Es ist in der westlichen Welt eine verbreitete Tradition, sich zum Jahresbeginn den Vorsatz zu fassen, schlechte Gewohnheiten abzulegen oder sonstwie sein Leben zum Guten zu verändern. Der Jahresbeginn ruft uns in Erinnerung, dass eine neue Zeit vor uns liegt und dass wir sie gestalten können. In der Psychologie wurde die Wichtigkeit lang und breit untersucht, sich Ziele zu setzen. Man könnte die Forschungsresultate nun hier ausbreiten, dagegen gibt es nicht viel einzuwenden. Ausser, dass es dann in der alltäglichen Erfahrung doch ziemlich oft nicht so richtig funktioniert.

[Kann man sich Leere vornehmen?]

Darf ich mal eine Hypothese wagen: Sie sind in verschiedenen Bereichen bereits überambitioniert, haben bereits hohe Ziele, sind bereits gut ausgelastet mit dem, was ohnehin läuft. Sie brauchen nicht noch jemanden, der Ihnen schlaue Tipps gibt, wie Sie noch ein halbes Prozent mehr aus sich selbst herauspressen können. Gehen wir das Thema also anders an. Betrachten wir einfach mal ganz gelassen einen Zielsetzungsprozess. Der geht vielleicht so: «Ich möchte mehr von X und da sollte ich einfach hingehen und mir mehr davon holen. Und ich stelle fest, dass ich es nicht schaffe, regelmässig Y zu tun und da sollte ich nun endlich einen Plan aufstellen und dann strenger mit mir sein und es durchziehen. Und wenn ich es dann schaffe, nehme ich mir die Zeit nicht, meinen Erfolg zu geniessen, ich warte nicht, bis wieder Neujahr ist, sondern setze mir sofort neue und höhere Ziele.» Man muss nicht Ökonomie studieren, nicht Philosophie oder Psychologie um zu wissen, dass aus befriedigten Bedürfnissen neue entspringen. Aber was würde uns helfen, dass wir aus dem Hamsterrad unserer Bedürfnisse aussteigen können? – Stellen wir uns einfach vor, dass der Ausstieg gelänge - wie durch ein Wunder: Wir würden den Atem in unserem Leben finden, den wir so sehr vermisst haben. Wir würden den Raum finden, der uns gefehlt hat. Wir würden die Beziehungen spüren, die uns wichtig sind. Und obwohl wir nicht mehr erreichen würden, würden wir viel mehr davon haben. «Lerne, ein Stück Brot genauso zu schätzen wie ein 5-Sterne-Menü.» Das ist ein Schlüssel zum Glück.  Da sind sich Wissenschaft und viele Weisheitstraditionen einig.
Drei kleine Schritte zu diesem Verständnis könnten Ihnen heute vielleicht sogar ohne Anstrengung gelingen: Erstens, indem Sie diese kurze Kolumne genauso schätzen wie eine etwas längere. Zweitens, indem Sie das nun folgende, unbedruckte Weiss nicht als Fehler des Grafikers deuten, sondern als meinen bewussten Entscheid für etwas Leere. Und drittens, indem Sie diese Leere nicht als Aufforderung verstehen, weiter zu klicken, sondern als Aufforderung, jetzt einfach hier zu sein und nichts weiter zu tun.















Ich wünsche Ihnen genügend Leere im neuen Jahr!


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