Die „brennende Plattform“ ist ein bildhaftes Codewort für
eine alte Motivationstheorie, die besagt, dass sich Menschen nicht bewegen,
ausser sie werden massiv bedroht. Die Geschichte bezieht sich auf eine
Ölförder-Plattform und geht so: Wie kriegen Sie eine Gruppe von Menschen dazu,
sich freiwillig aus grosser Höhe in kaltes Wasser zu begeben? – Zünden Sie die
Plattform an, auf der sie sich befinden, und sie werden springen!
[Die "brennende Plattform" ist eine schlechte Managementidee, die man im Meer versenken sollte.]
Natürlich
ist das keine menschenfreundliche Theorie, aber besonders ehrgeizige Manager,
meinen nicht selten, sie doch anwenden zu dürfen, weil sie erfahrungsgemäss
„funktioniert“, insbesondere dann, wenn nett fragen oder befehlen nicht wirken.
Und auch weniger ehrgeizige Manager stimmen zu, sobald sie sich selbst in die
Enge getrieben fühlen. Das ist bedauerlich. Ein Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung ist nämlich bereits chronisch
gestresst und benötigt keine zusätzlich inszenierten Bedrohungen durch das
Management. Zudem ist dieser Ansatz mit massiven Nebenwirkungen verbunden, die
den Einsatz aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht kaum rechtfertigen: Man
verspielt nicht nur das Vertrauen, sondern auch die Motivation und das
Engagement der Mitarbeitenden. Studien zeigen, dass über achtzig Prozent der
Erwerbstätigen sich nicht für ihre Arbeit engagieren. Man stelle sich das
Potential vor, wenn nur schon die Hälfte davon auf einmal mit Freude, mit Lust,
mit Überzeugung und Enthusiasmus zu Sache gingen! Wie aber bekommt man das hin?
Die Einsicht, dass massive Drohung keine gute Idee ist, hilft nicht weiter,
solange kein besserer Ansatz zur Hand ist.
Fragen wir einmal anders: Was würde ein paar Leute dazu
bringen, sich in eine einsturzgefährdete Höhle
zu begeben, die mit giftigen Gasen gefüllt ist? Zunächst ginge wohl niemand um keinen Preis der Welt da hinein. Aber dann
wagen sich doch ein paar freiwillig hinunter, wenn da ein paar Kumpels
eingeklemmt sind, die vielleicht noch leben und auf Rettung hoffen. Menschen
verlassen ihre Komfortzone nicht nur aus Angst oder Egoismus, sondern auch, um
etwas zu tun, das ihnen bedeutungsvoll erscheint. Neuere Führungsansätze
befassen sich genau damit. Was ist für meine Mitarbeitenden wichtig? Wie werden
sie inspiriert? Was gibt ihnen Energie? Was ergibt für sie Sinn? – Zugegeben,
die Antworten darauf sind etwas komplizierter als ein Benzinkanister und ein
Streichholz. Aber deswegen sind sie noch lange nicht „esoterisch“. Zumal sich
die empirischen Belege häufen, dass Manager erfolgreicher sind, die ihren
Mitarbeitenden mit einer ehrlich interessierten und respektvollen Haltung begegnen. Solche die
sie dazu anregen, die eigenen Stärken noch weiter zu entwickeln. - Ich wünschte
mir, dass genau dies in den Köpfen von Führungskräften mehr verankert wäre. Und
dass sie besser ausgebildet wären, Instrumente anzuwenden, die nach dieser
Logik funktionieren.
In einem schwachen Moment habe ich mir einmal gewünscht,
dass das Bild der brennenden Plattform aus den Managerköpfen verschwindet. Ich habe
mir vorgestellt, das Bild selbst auf eine brennende Plattform zu stellen, wo es
dann entweder verbrennt oder ins Meer stürzt. Wie ironisch! So geht ja eben kein
guter Wandel von statten. Wie dann? – Als der schwache Moment vorbei war dämmerte
mir, dass das Bild gar nicht ausgelöscht werden muss. Es genügt, wenn es
verblasst. Und es verblasst dann, wenn Manager daran glauben, dass man
gleichzeitig eine gute Führungskraft und ein guter Mensch sein kann. Wenn sie
die Hoffnung nicht aufgeben, dass es so sein möge. Wenn sie nach Instrumenten
suchen, die sie in dieser Haltung unterstützen. Wenn für sie der respektvolle
Umgang mit Mitarbeitenden und die Interessen des Geschäfts höchstens ein
scheinbarer Widerspruch ist. Wenn sie bereit sind, genau dafür den Beweis
anzutreten - auch ohne eine Garantie, dass es funktionieren wird. Aber mit der
Gewissheit, dass es sich lohnt, es zu versuchen.
-------------------------------------- Das subjektive Wirtschaftslexikon ---------------------------------
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