Montag, 3. August 2015

Glücksstatistik

Eine Glücksstatistik zu veröffentlichen ist eine sehr wirksame Art, sich als Statistiker öffentlich lächerlich zu machen - und die gesamte Glückforschung dazu. Wenn Sie bloss publizieren, dass die Schweizer die weltweit Glücklichsten sind, dann funktioniert das allerdings nicht so gut. Aber fragen Sie einfach Personen im ganzen Land, wie zufrieden sie mit ihrem Leben sind.

[Wie kommen Menschen dazu, sich weniger zu ärgern?] 

Sie können einfach so fragen, oder die gut validierten fünf Fragen von Ed Diener verwenden oder auch den ausgefeilten Oxford Happiness Fragebogen mit 24 Fragen. Das spielt keine Rolle. Entscheidend sind zwei andere Dinge. Erstens sollten Sie genügend Personen befragen, so etwa tausend wären gut. Das gibt einen wirklich seriösen Anstrich und danach können Sie verschiedenste Untergliederungen machen: Männer vs. Frauen, Zentralschweizer gegen Ostschweizer, Verheiratete vs. unverheiratete, Junge versus Alte. Wenn Sie das schön säuberlich gemacht haben, dann sind Sie schon fast fertig. Jetzt brauchen Sie zweitens nur noch ein paar Hypothesen. Sollten Sie diese versehentlich weglassen oder aus übertriebener wissenschaftlicher Zurückhaltung viel zu vage formulieren, helfen Ihnen Journalisten gerne nach. Sie sind ausgebildet darin, die Dinge zuzuspitzen.


Danach können wir in geneigten Gazetten und Blogs Ratschläge wie die folgenden lesen, die alle anscheinend wissenschaftlich fundiert, verbrieft und unwiderlegbar bewiesen sind:


  • Tipp 1: Bleiben Sie bei Ihrer Nationalität, sofern Sie bereits Schweizer oder Schweizerin sind.  - Wie nützlich ist das denn? Wer hatte vor, seine Schweizer Nationalität aufzugeben? Auswanderer vielleicht, aber Ausgewanderte wurden gar nicht befragt.
  • Tipp 2: Lassen Sie sich nicht scheiden. - Danke für den Tipp, das hatte ich auch nicht vor. Aber bei Paaren, die sich ständig streiten oder sich nichts mehr zu sagen haben, und nur solche stehen zur Debatte, bleiben berechtigte Zweifel, ob dieser Rat ein guter ist.
  • Tipp 3: Wohnen Sie in der Innerschweiz. - Ich weiss nicht, ob ich mit meinem Dialekt dort willkommen bin und wie sehr der überlange Arbeitsweg dann negativ ins Gewicht fällt. Und überhaupt, könnte es nicht sein, dass es leicht deprimierend ist, als Normalo unter den Allerglücklichsten zu leben? 
  • Tipp 4: Bilden Sie sich. - Endlich etwas Vernünftiges! Aber bringt dieser Ansatz etwas, wenn man bereits Professor ist? Schliesslich ist Bildung anstrengend und mitunter recht kostspielig. 
  • Tipp 5: Bleiben Sie ewig 16 oder, falls schon zu spät, werden Sie möglichst rasch 65. - Bei mir ist es eher schon spät, also gut, ich beeile mich… und was mache ich in der Zwischenzeit? 
  • Tipp 6: Werden Sie reich. - Alles klar. Ich nehme an, wir alle wissen ja, wie das Reichwerden geht. Im Kleingedruckten wäre dann noch nachzulesen, dass man es auf eine Art tun sollte, die einen nicht allzu sehr an die Nieren geht, denn der Effekt ist im Vergleich zum Aufwand leider sehr bescheiden.


Man muss nicht studiert haben um zu erkennen, dass die Ratschläge bestenfalls einen Schmunzler wert sind. Der Vorteil einer höheren Bildung liegt lediglich darin, dass wir nicht einfach sagen, „das ist Schrott“, sondern präzise festhalten können „auf Basis von soliden Daten sind unzulässige Schlüsse gezogen worden“. Aber ob uns das glücklicher macht?


Nachdem Sie sich selbst und die Glücksforschung nun öffentlich blamiert haben, können Sie sich Wilhelm Busch’s Diktum zu Herzen nehmen: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt’s sich gänzlich ungeniert.“ Das wäre dann schon eher angewandte Glückforschung. Aber auch hier stellt sich die Frage: Nützt Ihnen der wissenschaftliche Beweis etwas, dass Menschen lebenszufriedener sind, die in negativen Ereignissen auch gute Aspekte erkennen? – Wenn Sie sich grün und blau ärgern, sind Sie für schlaue Tipps kaum zu haben, und wenn Sie es ohnehin schon gelassen nehmen, brauchen Sie den Tipp nicht. Eine wirklich entschiedene Frage zum Beispiel ist die: Wie kommen Menschen dazu, sich weniger zu ärgern? Und zwar weniger oft, weniger lang und weniger intensiv. Interessanterweise hat die Glückforschung darauf bereits recht taugliche Antworten gefunden. Nur stehen sie meist nicht in Magazinen, Blogs oder Zeitungen. Und schon gar nicht unter dem Titel Glücksstatistik.
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P.S.: Sogenannte „Positive Interventionen“ helfen, und besonders nachhaltig wirkt das Meditieren; letzteres kann man in Abendkursen in 8 Wochen seriös lernen. Wer mehr wissen will googelt „Lyubomirsky“ respektive „MBSR“.

---------------- Das subjektive Wirtschaftslexikon von Alexander W. Hunziker -------------------
  • Anreiz - die Theorie dazu stimmt leider nicht
  • Achtsamkeit - wird in keinem Wirtschaftslexikon definiert, sollte aber
  • Ehrgeiz - eine wichtige Triebfeder der Wirtschaft mit Nebenwirkungen

2 Kommentare:

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