Mittwoch, 7. Januar 2015

Anreiz


Der Anreiz gehört zu den wichtigsten Konzepten in der Wirtschaftswissenschaft. Die Theorie besagt, dass Menschen systematisch auf veränderte Anreize reagieren. „Systematisch“ bedeutet, dass es nicht zufällig ist, also einem Muster folgt und daher vorhersehbar ist. Der wichtigste aller Anreize ist der Preis: Was teurer wird, wird weniger gekauft, was billiger wird mehr. Das ist empirisch sehr gut untermauert und wird kaum bezweifelt. Dieses Verhalten wird auch „rational“, also vernünftig genannt.

[Die gesamte neoklassische Ökonomie reduziert den Menschen auf das vernünftige Verhalten von Ratten.]

Stutzig machen könnte einen allerdings die Beobachtung, dass selbst Ratten nach dieser Definition rational sind. Wissenschaftler haben sich die Mühe gemacht, Ratten zwischen Bier und Wasser wählen zu lassen. Beides erhielten sie auf Druck einen Hebels. Und siehe da, die Ratten haben vornehmlich Bier gewählt. Das allein würde zwar schon ausreichen, um manchen von uns die Tiere sympathisch zu machen, aber damit sind sie noch nicht zwingend rational oder vernünftig.  Nun, die Geschichte geht noch weiter: Man hat es danach so eingerichtet, dass die Ratten den Hebel fürs Bier mehrmals drücken mussten, beim Wasser genügte nach wie vor ein einziger Hebeldruck. Damit ist also der „Preis“ für das Bier gestiegen und siehe da: Es wurde weniger Bier und mehr Wasser getrunken. Und wenn einer kommt und meint, Menschen verhielten sich nicht rational, dann stellen Ökonomen die hinterlistige Frage: Wollen Sie behaupten, dass Menschen dümmer seien als Ratten? – Damit bringt man zumindest erstsemestrige Ökonomiestudierende zuverlässig zum Schweigen. Dabei wäre es nicht so schwierig zurückzufragen: Wollen Sie behaupten, dass Menschen nicht etwas komplexere Wesen seien als Ratten?

Die gesamte neoklassische Ökonomie reduziert den Menschen auf das vernünftige Verhalten von Ratten. Schade eigentlich, denn meines Wissens hat noch keine Ratte eine Symphonie geschrieben oder auch nur schon ein paar Büffel an eine Höhlenwand gemalt. Es muss also doch mindestens einen wichtigen Unterschied geben, selbst wenn er in der ökonomischen Theorie nicht vorkommt.  Wenn wir beim Thema der Anreize bleiben wollen, dann kommen wir zum menschlichen Bedürfnis, Dinge um ihrer selbst willen zu tun: Ein Berg an sich ist eine Herausforderung, da braucht es keine Belohnung für den Erstbesteiger. Oder auch eine Gruppe, der wir uns zugehörig fühlen, ist von sich aus ein Anreiz, etwas für alle beizutragen. Wer sich dummerweise die ökonomische Theorie zu Rate zieht, um Menschen zu beeinflussen, produziert nicht selten genau dieses Ratten-Verhalten, das zwar latent in uns allen vorhanden ist, aber nicht unbedingt aktiviert werden müsste. In einem Spiel, in dem alle etwas für ein gemeinsames Ziel beitragen sollen, sich aber auch auf Kosten der anderen bereichern können, verhalten sich viele egoistisch, sofern man dieses Spiel „Wallstreet-Game“ nennt. Wenn man das genau gleiche Spiel „Gemeinschafts-Spiel“ nennt,  beobachtet man viel mehr selbstloses Verhalten. Versuchen Sie das mal mit Ratten nachzustellen. Menschen sind also nicht einfach Egoisten. Sie nehmen Herausforderungen um ihrer selbst willen an, sie haben ein Bedürfnis nach Gemeinschaft und sie sind bereit, für Fairness einzustehen. Zugegeben: Nicht über alle Massen und nicht immer. Aber derartige Motivation ist grundsätzlich vorhanden. Und sie kann aktiviert, aber auch durch harte Anreize zerstört werden. Eine Wirtschaftstheorie, die dies ignoriert, muss uns in die Irre leiten.

Die genannten Experimente sind alle längst bekannt, analysiert und auf breitester Basis bestätigt worden. Nur die Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, fällt uns offenbar schwer.  In dieser Unbelehrbarkeit erinnern mich Wissenschaft und Politik an ein ganz anderes Experiment: Einige Hunde erhalten unangenehme Stromstösse in ihrem Zwinger, aber immer nur in der einen Hälfte. Sie lernen rasch, sich in der anderen Hälfte in Sicherheit zu bringen. Andere Hunde werden zuerst den gleichen Stromstössen ausgesetzt, aber im ganzen Zwinger, also ohne die Möglichkeit auszuweichen. Erst danach kommen sie ins gleiche Setting wie ihre Kollegen. Diese Tiere versuchen nun gar nicht erst, sich in eine angenehmere Position zu bringen. Anreize dazu hätten sie genug, aber sie haben Hilflosigkeit gelernt.

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