Sonntag, 5. August 2018

Ethikanreiz



Ethik und Anreize werden als Gegensätze wahrgenommen: Die Ethik hilft uns (hoffentlich) das «Richtige» zu tun, obwohl wir Anreize hätten, das «Falsche» zu machen. Beim Vorschlag, über Anreize zu ethischem Verhalten nachzudenken, mögen sich daher bei manchen die Nackenhaare sträuben: Wenn es für ethisches Verhalten auch noch Anreize bräuchte, wo kämen wir da hin? – Aber bevor wir uns empören, zählen wir doch erst einmal zwei und zwei zusammen.

[Wir benötigen eine Vision einer künftigen Gesellschaft.]

Die ersten zwei Punkte heissen Gesundheit und Bildung. In jedem halbwegs zivilisierten Land werden Gesundheit und Bildung breit in der Gesellschaft gestreut. Hinsichtlich anderer Dinge ist eine Zweiklassengesellschaft denkbar oder bereits Realität, aber hier eher nicht. Im Bildungswesen brauchen auch die Schwachen eine Chance, sonst leidet die Gesellschaft als Ganzes. Sie verpasst es, all die intelligenten Kinder angemessen auszubilden, die zufällig finanzschwache oder bildungsferne Eltern haben. Die Gesellschaft fiele im Wettbewerb mit anderen zurück. Auch eine Zweiklassen-Medizin muss vermieden werden. Wer krank ist, kann nicht arbeiten, kann nicht lernen und sich nicht weiterentwickeln. In einer agilen, sich immer rascher wandelnden Welt ist es auch im Interesse der Reichen, dass die weniger Bemittelten Zugang zu bestmöglicher Medizin haben. Betriebliche Kosten durch Absenzen und Ausfälle würden sonst steigen und das eigene Land würde an Konkurrenzfähigkeit verlieren.
Die zweiten zwei Punkte heissen Robotik und Digitalisierung. Roboter sind zwar an sich ganz lustige Spielzeuge, aber wirklich vorangetrieben wird ihre Entwicklung, weil sie Menschen als Arbeitskräfte ersetzen können. Zunächst natürlich dort, wo es für Menschen sehr gefährlich oder unangenehm ist, bei der Feuerwehr oder beim Entschärfen von Bomben. Aber die Preise für Roboter sinken und sie übernehmen immer alltäglichere Aufgaben. Die Digitalisierung der Wirtschaft macht es immer einfacher, Roboter in Organisationen einzubinden. Sie brauchen sich nicht erst an einen Chef zu gewöhnen oder an eine Firmenkultur. Die digitalen Schnittstellen sind bereits da.
Wenn wir nun zwei und zwei zusammenzählen, erkennen wir, dass die Anreize langsam wegfallen, die eine Gesellschaft bisher hatte, um (einigermassen) ethisch zu handeln und ein gutes Bildungs- und Gesundheitswesen für alle anzubieten. Wenn ärmere Menschen schlecht gebildet oder krank sind, ist das in einer robotisierten Wirtschaft aber kein ökonomisches Problem, weil diese Menschen ja ohnehin kaum gearbeitet hätten. Selbst wenn ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt ist, könnten Bildung und Gesundheit zum Luxusgut werden. Oder vielleicht ist es eher sogar so: Nachdem man das bedingungslose Grundeinkommen einführt, fehlen dem Staat Mittel und gewiefte Politiker stellen es als legitim dar, die Zweiklassen-Bildung und die Zweiklassen-Medizin einzuführen. Sie würden es niemals so nennen, das ist klar, aber auswirken würde es sich trotzdem so. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass Millionäre sich volksnah geben und dann die Interessen der Unterschicht mit Füssen treten.
So. Wie ist es nun mit den Ehtikanreizen? Was passiert mit einer Gesellschaft, wenn der ökonomische Grund, sich menschlich und ethisch zu verhalten langsam erodiert? Ich weiss es nicht genau, aber es sieht düster aus. Wir benötigen eine Vision einer zukünftigen Gesellschaft, die wesentlich über den flächendeckenden Einsatz von Robotern und ein bedingungsloses Grundeinkommen hinausgeht. Wenn Ethikanreize wegfallen, brauchen wir eine neue, starke gesellschaftliche Energie, um es auch schwachen Menschen zu ermöglichen, sich zu entfalten und zu werden, wer sie werden können. Wenn sich nicht noch überraschend etwas Neues ergibt, kann diese Energie nur aus einer Quelle kommen: von Menschen. - Vielleicht von Ihnen? Welchen Anreiz dazu hätten Sie?


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  •  Beabsichtigen ist die zentrale Fähigkeit in einer digitalen Welt.
  • Zuhören - ist anspruchsvoll, aber lernbar.
  • Wertschätzung  - kostet etwas, nämlich Zeit; die ist aber gut investiert.
 

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