Komplexität zu erklären ist kompliziert. Wenn wir es trotzdem
möglichst einfach versuchen wollen, dann so: Ein System ist dann komplex, wenn
Sie beispielsweise versuchen, es schneller zu machen und es passiert lange
nichts und dann wird es langsamer. Gut, wir sollten noch liebevoll annehmen,
dass Sie sich nicht allzu dumm angestellt haben. Das Entscheidende ist, dass
wir komplexe Systeme nicht wirklich beherrschen können. Sie führen ein
Eigenleben und reagieren auf Veränderungen oft anders, als man denken könnte.
[Nicht steuern, aber beeinflussen - mit neuer Betrachtungsweise.]
Hier ist ein paar Beispiele, die dieses mysteriöse Eigenleben illustrieren. Nehmen
Sie an, Sie möchten verhindern, dass Flüchtlinge im Meer ertrinken. Sie gehen also
mit Booten Flüchtlinge retten. Ist doch klar! Die Schlepper merken rasch, dass
nur noch die halbe Distanz zurückgelegt werden muss, und senden die Flüchtlinge
in noch älteren, noch billigeren Booten los. Ihre Gewinnspanne erhöht
sich. Es lohnt sich, das Geschäft
auszudehnen. Insgesamt werden mehr Flüchtlinge auf die gefährliche Überfahrt
geschickt. Es gibt folglich bald mehr Tote. - Oder stellen Sie sich vor, Sie
möchten ein gerechteres Steuersystem. Sie führen nach und nach für jede Art der
gesellschaftlichen Benachteiligung Steuerabzüge ein. Mit der Zeit wird das
System immer komplizierter. Und nur Reiche können sich Berater leisten, die es
durchschauen. Der Mittelstand und ärmere Schichten können nicht mithalten. Natürlich
finden die Profis immer ein paar Schlupflöcher und so wird das Steuersystem praktisch
immer ungerechter.
Komplex sind Probleme nicht nur in der Gesellschaft, auch
Führungsfragen sind manchmal komplex. Nehmen Sie die erfolgreiche Managerin Sue.
Sie hat in einer Bank Prozesse vereinfacht und verschlankt. Natürlich gegen den
erbitterten Widerstand von einigen Mitarbeitenden. Und dann hat sie dasselbe
bei einem Versicherungskonzern gemacht. Einfach in einer fünfmal so grossen
Abteilung. Und nun sollte sie einen etwas verschlafenen Produktionsbetrieb innovativer
machen. Natürlich ohne zusätzliche Ressourcen. Was tut sie? Sie verschlankt
auch hier Prozesse, um Ressourcen freizuspielen, die sie anschliessend für
innovative Projekte nutzen will. Sie erteilt Projektmanagern Aufträge zur
Innovation. Und sieht sich genau an, was diese Projektmanager liefern. Kurz:
Sie wird alles richtig machen. Was aber, wenn die Geschichte anders weitergeht
als Sue das erwartet? Die drei besten Projektmanager liefern keine
befriedigenden Resultate. Sue selbst hätte in deren Situation wöchentlich
mindestens 20 Überstunden absolviert, um das eigene Projekt doch noch auf Kurs
zu bringen, ihre Projektmanager hingegen sind vom sich abzeichnenden Misserfolg
nicht sonderlich alarmiert. Als Sue
wütend wird und ihnen mangelnden Einsatzwillen vorwirft sagen diese, sie müsse
ihnen vertrauen. „Wie bitte, vertrauen? – Nachdem ihr nichts Brauchbares abgeliefert
habt?“ schnaubt Sue. „Erst müsst ihr mal etwas liefern und zeigen, dass ihr
mein Vertrauen verdient!“ – Sue wird weiter Druck machen, aber - wie sie selber
ahnt - wird dies wenig bringen, im
Gegenteil, es verschlimmert die Situation.
Wir können komplexe Systeme zwar nicht beherrschen, das ist
mitunter frustrierend. Aber hier ist die gute Nachricht: Wir können Einfluss
nehmen. Allerdings müssen wir uns die Zeit nehmen, das System zu verstehen. Wenn
wir, wie Sue, Teil des Systems sind, wäre es ein guter Anfang, sich selbst zu
verstehen: Wann wird Sue wütend? Wann macht sie Druck? Wie kann sie in positivem
Kontakt mit Projektmanagern bleiben, die sich nicht so verhalten, wie sie es erwartet? Und dann
ginge es darum, die anderen Menschen zu verstehen: Warum strengen sich diese im
Grunde hervorragenden Projektleiter nicht an? Haben sie womöglich gute Gründe?
– Oft finden sich Lösungen über neue Begriffe, die den Blick auf zuvor
Unbeachtetes lenken. Vielleicht wäre „Immigrationspreis“ ein Anfang, oder
„Steuerleichtigkeit“ oder „Innovationskultur“. Hinderlich ist hingegen die
Überzeugung der eigenen moralischen Überlegenheit. Warum wird Entsprechendes
nicht längst an allen Business Schools gelehrt? – Ich fürchte, eine neue Denke
konsequent in ein Ausbildungsprogramm einzufügen ist ziemlich komplex.
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