Montag, 6. November 2017

Digitale Diskriminierung



Diskriminierung bedeutet zunächst einfach Unterscheidung. Aber gemeint ist eine Unterscheidung, die moralisch nicht vertretbar ist. Dadurch ist das Thema heikel: Wer „Diskriminierung!“ sagt, hält automatisch die Moralkeule in der Hand. Dabei sind es doch grundsätzlich die anderen, die diskriminieren.

[Sie werden digital diskriminiert. Ja, Sie und ich, wir alle.]
 
Wir selbst haben kaum böse Absichten und wollen bloss, dass der Laden läuft, ohne zusätzliche Vorschriften. So weit, so holprig - aber aufgepasst: Die Digitalisierung droht nun die Tragweite der Diskriminierung massiv auszuweiten. Und zwar so, dass Sie persönlich betroffen sind, auch wenn Sie weder Frau noch schwul, weder HIV-positiv noch Muslim sind. Ja, Sie und ich, wir alle werden wohl künftig diskriminiert. Dank der Digitalisierung kann man viel rascher, viel einfacher, viel kostengünstiger diskriminieren, denn es sind immer mehr Daten vorhanden und die notwendige Rechenleistung wird immer kostengünstiger. Können Sie sich vorstellen, dass Sie den nächsten Job nicht bekommen, weil jemand der zufällig gleich heisst wie Sie, Nazi-Parolen ins Internet gestellt hat? Oder weil Sie früher einmal insolvent waren, beispielsweise unverschuldet nach einer Scheidung? – Nein, das kann doch nicht sein! Aber nachdem in einer grossen Firma eine frisch eingestellte Führungskraft als Nazi aufgeflogen ist, bekommen die  Rekrutierer nicht vielleicht doch Ohrensausen und fangen an, Kandidaten rasch und unprofessionell zu googeln?  Oder falls eine Firma in ihren Personaldaten feststellt, dass Mitarbeitende mit Insolvenz-Vergangenheit im Durchschnitt etwas schlechtere Leistungen erbringen als solche, die nie insolvent waren. Würde da nicht vielleicht ein Superschlauer sich mit neuen Selektionsmethoden profilieren wollen? Sicher, ein paar Betriebe würden Sie trotzdem einstellen. Nur schade, dass dort die passenden Stellen womöglich schon besetzt sind.
Oder nehmen wir „Open Government Data“. Warum sollten die Bürgerinnen und Bürger nicht wissen, wie viele Sozialwohnungen es in ihrer Stadt gibt? Und wenn man die Adressen dieser Sozialwohnungen mit mühseligem Gang auf verschiedene Ämter ausfindig machen kann, warum sollten sie nicht gleich veröffentlicht werden? – Es genügt, wenn die Stadtverwaltung die entsprechenden Liegenschaften in einer öffentlich zugänglichen Karte speziell einfärbt, schon können Unternehmen feststellen, ob eine Bewerberin oder Bewerber in einer Sozialwohnung wohnt und sie diskriminieren. Man würde es intern zwar eher „Optimierung“ nennen, aber es läuft aufs selbe hinaus.
Stimmt, es gibt auch Positives zu vermelden. Wenn Sie in einer Gegend wohnen, in der die Leute eher arm oder eher krank sind, werden Sie vielleicht nicht zum Job-Interview aufgeboten, aber immerhin erhalten Sie Airline-Tickets günstiger als andere, die etwa an Zürichs Goldküste wohnen. – Sie machen keine Freudensprünge? Nun, es bestehen auch weniger zynische Hoffnungen: Frauen, die oft bezüglich Führungspositionen diskriminiert werden, könnten sich in diesen Statistiken als den Männern ebenbürtige Führungskräfte beweisen. Dadurch könnte eine alte, und ineffiziente Diskriminierung abgeschafft werden. Wenn wir uns allerdings anschauen, wie subtil die Diskriminierung der Geschlechter konkret abläuft, dann bleiben solche Hoffnungen in einem sehr überschaubaren Rahmen.
Die übelsten Geschichten sind damit aber noch gar nicht ausgepackt: Als der Detailhändler „Target“ einer jugendlichen Amerikanerin Werbung für Schnuller zustellte, musste ihr Vater feststellen, dass diese Firma aufgrund der Einkauf-Daten der Tochter vor ihm wusste, dass seine Tochter schwanger war. Und Trumps Wahlsieg ist womöglich durch eine gezielte Bearbeitung von Personen entstanden, deren digitale Spuren verraten haben, mit welchen Informationen man sie am besten beeinflussen kann. Das ist dramatisch. Aber das wirklich üble an diesen Geschichten ist: Obwohl ich sie kenne, habe ich immer noch eine Supercard, eine Cumulus-Karte und ein Facebook-Profil. Wir hätten wohl alle gern die Vorteile der Digitalisierung ohne die Nachteile. Das geht aber nur, wenn wir geeignete Regeln haben. Eigentlich ist es einfach: Daten sind Wissen und Wissen ist Macht. Die Regeln, wie wir mit Macht verfahren wollen, gehen alle etwas an. – Aber Ihnen muss ich das nicht erklären. Sie lesen diesen Artikel doch auch nur, weil der Inhalt ohnehin zu Ihrem digitalen Profil passt.


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