Zunächst hat Fairness mit Wirtschaft nichts zu tun,
wenigstens theoretisch. In der allgemeinen Vorstellung von Wettbewerb ist
nämlich kein Platz für Fairness, es herrscht Jeder-gegen-Jeden und nur die effizienteste
Firma überlebt. Also die, welche ihre Mitarbeitenden und Lieferanten am besten
über den Tisch zieht. Aber als um 1850 die ersten Fabrikarbeiter begonnen
hatten zu streiken, weil sie ihre Löhne nicht fair fanden, hätte man eigentlich
auf die Idee kommen können, diese Vorstellung zu überdenken.
[Fairness zahlt sich handfest aus.]
Nun, es hat etwas
länger gedauert. Aber mittlerweile sind aus einer Fülle von Studien ein paar
gute Gründe bekannt, Fairness in die Analyse von wirtschaftlichen Situationen
einzubeziehen.
Man hat etwa beobachtet, dass Menschen im Allgemeinen gern
kooperieren. In anonymen Marktsituationen suchen zwar die meisten Menschen
einfach den vorteilhaftesten Deal. Sobald es aber um Verhandlungen zwischen
zwei Personen geht, die einander kennen, sind sie generell recht ehrlich und
streben eher eine gemeinsam vorteilhafte Lösung an als eine Lösung, bei der die
andere Partei übers Ohr gehauen wird. Sie schöpfen ihre Verhandlungsmacht also
nicht immer aus. Diese Beobachtung ist kaum mit der angeblichen Eigennützigkeit
der Menschen in Einklang zu bringen, die ihnen in der Ökonomie gemeinhin
zugeschrieben wird. Obendrein engagieren sich Viele sogar selbstlos für
Kooperation: Sie sind bereit, Kosten auf
sich zu nehmen, um andere zu bestrafen, die sich unfair verhalten. Auch dann,
wenn es ihnen persönlich nichts nützt.
Dabei spielen Feinheiten durchaus eine Rolle. Erwartungen
etwa sind gerade so wichtig wie Tatsachen. Wenn ich erwarte, dass ich nach zwei
Jahren guter Arbeit befördert werde, und dies tritt dann nicht ein, fühle ich
mich unfair behandelt. Ich kündige oder reduziere meine Leistung. Wenn ich
diese Erwartung nicht hatte, dann nicht. In eine ähnliche Richtung geht die
Beobachtung, dass auch vermutete
Absichten eine wichtige Rolle spielen. Wenn ich unfair behandelt werde,
wehre ich mich weniger, wenn ich glaube, es sei aus einem Irrtum heraus
passiert als wenn ich meine, jemand habe mich absichtlich unfair behandelt.
Unternehmenskulturen können es begünstigen, dass
Mitarbeitende weniger Hemmungen haben, Fairnessregeln zu verletzen und sich auf
Kosten von anderen bereichern. Die Finanzbranche hat diesbezüglich ja Schlagzeilen
gemacht. Eine Unternehmenskultur könnte aber auch das Gegenteil fördern,
nämlich dass Mitarbeitende eher bereit sind, sich für die Kolleginnen und
Kollegen einzusetzen. Durch einen entsprechenden Führungsstil lässt sich das
begünstigen, nur schafft man es damit selten in die Schlagzeilen.
Um das Ganze noch etwas plastischer zu machen, stellen Sie
sich bitte die Firma A vor: Sie ist von der Philosophie des Cost-Cutting und
der Effizienz geprägt. Knallharte Verhandlungen mit Lieferanten und beinah unanständig
tiefe Löhne sowie schlechte Arbeitsbedingungen sind die Konsequenzen. Dann
stellen Sie sich die Firma B vor: Sie ist von der Idee geprägt, die Firma könne
nur prosperieren, wenn es den Mitarbeitenden und Lieferanten gute gehe. Gute
Arbeitsbedingungen, gute Löhne und kreativere Verhandlungen mit Lieferanten
sind die Folgen. - Die Frage ist nun nicht, in welcher Firma Sie lieber
arbeiten würden. Die Frage ist die: Würden Sie, wenn es um Ihr eigenes Geld und
Ihre eigene Altersvorsorge geht, eher die Aktie A oder B kaufen? Na? – In vielen Köpfen geht "fair und erfolgreich"
nicht gleich gut zusammen wie "knallhart und erfolgreich". Tatsache ist aber: Der
Detailhandelskette für Drogeriewaren „Schlecker“, die ins Profilbild A passt,
ist nach gigantischem Wachstum Konkurs gegangen und die Firma DM, die in
derselben Branche tätig ist und ins Profilbild B passt, ist ebenfalls stark
gewachsen, wenn auch nicht ganz so schnell, aber sie ist heute noch sehr
erfolgreich. Aktie B wäre also der bessere Kauf gewesen. Dieses Beispiel
illustriert: Fairness ist nicht einfach etwas für Gefühlsdusler, sondern zahlt sich handfest aus. Studien,
welche die Relevanz von Fairness belegen gibt es mittlerweile zuhauf, trotzdem
kommt Fairness in Ökonomischen Lehrbüchern so gut wie gar nicht vor und wenn, dann nur ganz am Rande. Wie dumm – und wie unfair!
Interessanter Beitrag! Ich vertrete auch die Meinung, dass bei Verhandlungen eine Win-Win Lösung gesucht werden soll. Ein Kompromiss ist meistens Lose-Lose...
AntwortenLöschen